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19. Mai 2017, von Michael Schöfer
Dass sich die USA das bieten lassen, ist erstaunlich


Fehler macht jeder. Fehler sind dazu da, um daraus zu lernen, um den gleichen Fehler kein zweites Mal zu machen. Aber die amerikanischen Behörden sind offenkundig unfähig, aus Fehlern zu lernen. Türkische Sicherheitskräfte, die ihren Präsidenten beim Besuch in Washington begleiteten, haben dort auf kurdische Demonstranten eingeschlagen und eingetreten. Es ist nicht das erste Mal, dass sich türkische Sicherheitskräfte anmaßen, in den USA Hoheitsrechte auszuüben. Auch beim Besuch Erdogans Ende März 2016 sind türkische Beamte in Washington auf Demonstranten und Journalisten losgegangen. Sie fühlten sich eben ganz wie zu Hause, könnte man ironisch anmerken. Das typische Verhalten von autoritären Regimen, die auch im Ausland wenig Rücksicht nehmen. Aber dass sich die USA das bieten lassen, ist erstaunlich. Immerhin hätten die US-Behörden vorgewarnt sein müssen. Ich dachte, die US-Regierung hätte den türkischen Beamten schon im vergangenen Jahr klar gemacht, dass in den Vereinigten Staaten nur US-Beamte Hoheitsrechte ausüben dürfen. Und dass dort amerikanische Gesetze gelten und keine türkische Willkürherrschaft. Aber offenbar hat es an einer deutlichen Ansage gefehlt. Oder sie war den Türken egal. Das, was sich Erdogans Regime leistet, finde ich einfach unerträglich. Und die wachsweiche Reaktion des Westens kotzt mich ehrlich gesagt an.

Die Türkei sei strategisch wichtig, heißt es. Mein Gott, dann lasst sie doch ziehen, wenn Ankara glaubt, woanders (sprich außerhalb der Nato) glücklich zu werden. Das Bündnis, das angeblich die Demokratie verteidigt (der Nordatlantikvertrag bezieht sich ausdrücklich auf die Grundsätze der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts), macht sich mit seiner Nachsicht doch bloß lächerlich. Und mal ehrlich: Glaubt irgendjemand, die Türkei würde, falls es mal wirklich brennt, zu ihren Bündnisverpflichtungen stehen? Sie hält sich ja bereits jetzt nicht an völkerrechtlich verbindliche Verträge, zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention, die hat die Türkei nämlich am 4. November 1950 unterschrieben. Aber Papier ist bekanntlich geduldig. Fast so geduldig wie die Politiker in den westlichen Hauptstädten. Es ist beschämend.