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31. März 2017, von Michael Schöfer
Türkei und Venezuela - Die Linke macht Unterschiede


"Erdogan demontiert die Demokratie in seinem eigenen Land, will sich mittels Referendum zum Alleinherrscher krönen und etabliert eine de facto Diktatur in der Türkei. Statt einem Pakt mit einem Autokraten, muss die Bundesregierung eine radikale Kehrtwende in ihrer Türkeipolitik einschlagen", schreibt Bernd Riexinger, der Co-Vorsitzende der Linken, auf der Website seiner Partei.

Recht hat er. Allerdings findet sich dort bislang nichts zur Entmachtung des venezolanischen Parlaments durch den Obersten Gerichtshof. Stellen Sie sich vor, liebe Leserinnen und Leser, das Karlsruher Bundesverfassungsgericht würde die Immunität der Bundestagsabgeordneten aufheben und sich die Kompetenzen der Legislative aneignen. Genau das ist in Venezuela passiert. Gewaltenteilung? Pustekuchen! Dazu muss man erwähnen, dass die alte, von den Sozialisten beherrschte Nationalversammlung vor dem Ende der Legislaturperiode noch schnell Gefolgsleute von Präsident Nicolás Maduro zu Richtern ernannte und so die Zusammensetzung des Gerichts änderte. Das Gericht stellt sich seitdem konsequent gegen die neue, von der Opposition dominierte Nationalversammlung.

"Hände weg von Venezuela!", ruft die Linke. Sie sieht im "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" eine große Chance, verteidigt "die bolivarische Revolution" und bezeichnet Maduro als "fortschrittliches Staatsoberhaupt". An der Versorgungskrise und der Hyperinflation sind natürlich - wie gehabt - vor allem die "Destabilisierungsversuche und die aggressive Außenpolitik der US-Regierung" schuld. Ach, würde sie sich doch in Venezuela mit der gleichen Vehemenz gegen die Alleinherrschaft eines Autokraten und für Meinungs- und Pressefreiheit engagieren, wie sie das mit Blick auf die Türkei tut. Die Linke braucht sich ehrlich gesagt nicht darüber zu wundern, dass ihr hierzulande Misstrauen entgegenschlägt.