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30. Dezember 2017, von Michael Schöfer
Jahresrückblicke sind langweilig und Prognosen unsicher


Jahresrückblicke sind langweilig, obgleich sich die Menschen gemeinhin noch nicht einmal daran erinnern können, was sie vorgestern zum Mittagstisch gegessen haben (ausgenommen Kinder, die sich sowieso ausschließlich von Spaghetti mit Tomatensoße ernähren). Aber wenn wir es dann wieder lesen, ist die Erinnerung sofort präsent: Ach ja… Wie die Zeit vergeht!

Die Gazetten leben derzeit jedoch nicht bloß vom Rückblick, viel interessanter ist der "Ausblick auf 2018". Allerdings unterliegt das Unterfangen naturgemäß ein paar Unsicherheiten. "Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen", lautet ein Bonmot, das abwechselnd dem Kabarettisten Karl Valentin, dem Schriftsteller Mark Twain oder dem Physiker Niels Bohr zugeordnet wird. Ich persönlich nehme ja vorsichtshalber davon Abstand, hier irgendwelche Vorhersagen zu wagen. Außer vielleicht, dass Bayern München 2018 Deutscher Fußballmeister wird. Dass dies ein weiser Entschluss ist, sieht man am "Ausblick auf 2017", den Vorhersagen von vor einem Jahr:

Es gebe für 2017 einen Lichtblick, schreiben beispielsweise die Kollegen von Spiegel-Online Ende Dezember 2016: "Sollte Fillon die Wahl gewinnen, könnte dies zu einer Stärkung der EU führen." Und: "Demoskopen sehen ihn bei einer Stichwahl als klaren Sieger." [1] Fillon who? So schnell kann es gehen, François Fillon landete bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich in der ersten Runde auf dem dritten Platz und kam überhaupt nicht in die Stichwahl. Damals fand der Spiegel in seinem Ausblick einen gewissen Emmanuel Macron noch nicht einmal für erwähnenswert. Besser wäre gewesen, die Redaktion hätte den Deutschen Fußballmeister 2017 vorhergesagt, denn der hieß erwartungsgemäß, nun ja, Bayern München.

Die meisten Online-Redaktionen der großen Zeitungen haben übrigens ihren "Ausblick auf 2017" vorsorglich vom Netz genommen. Wäre ja auch zu peinlich… Am besten kommt man bei Vorhersagen noch mit Allgemeinplätzen durch, wie etwa: "Das Jahr 2018 wird spannend und bietet uns bestimmt noch so manche Überraschung. Es wird Krisen, Terroranschläge und Katastrophen geben." Überraschungen, Krisen, Terroranschläge und Katastrophen gibt es ja immer - irgendwelche, irgendwo. Von jeglichen Präzisierungen ist dringend abzuraten, denn das könnte die Deutungshoheit gefährden. Beliebt sind Prognosen, die sich als harmlose Frage tarnen: "Wird Jens Spahn der neue Kanzler?", schreibt das Hamburger Abendblatt. [2] Nun, wir werden es erleben. Aber vielleicht ist da bloß der Wunsch der Vater des Gedankens. Junge Hoffnungsträger, die am Ende als Sternschnuppe am Firmament verglühen (schön anzusehen, aber absolut folgenlos), sind der Union ja nicht unbekannt. Ich sage nur: Karl-Theodor zu Guttenberg oder ehedem Friedrich Merz. Der 37-jährige Spahn dürfte genau besehen kaum Chancen haben. Jedenfalls 2018.

Bei der Zunft der Wahrsager gehört die Unsicherheit von Prognosen gewissermaßen zum Berufsrisiko. Doch wenn man vergisst, die alten Vorhersagen rechtzeitig zu löschen, kann das die Karriere nachhaltig beeinträchtigen. Ein Beispiel: Angeblich habe der britische Wahrsager Craig Hamilton-Parker 2016 schon den Wahlsieg von Trump und den Brexit richtig vorausgesagt, lesen wir auf dem Onlineportal "DerWesten", einem Produkt der Funke Mediengruppe. Und laut Hamilton-Parker drohte uns auch 2017 Unheil [3]:
  • ein schweres Feuer wütet im britischen Parlamentsgebäude
  • Dänemark und Italien verlassen die EU
  • eine schwere Grippe oder Epidemie bricht aus und tötet zahlreiche Menschen in der Dritten Welt
  • hohe Vulkanaktivitäten – vor allem in Italien und in Island
  • Kim Jong-un wird gestürzt – allerdings erst Ende des Jahres oder im Januar 2018
  • Terroristen verüben einen giftigen Bio-Gas-Anschlag auf eine Schule in Europa
  • versuchter Mord-Anschlag auf den Papst im Vatikan
  • Überschwemmungen in Europa, aber Dürre in den USA
Und was ist davon eingetroffen? Äh… nichts! Selbst bei dem, was eigentlich in jedem Jahr passiert, Dürren und Überschwemmungen nämlich, lag der Brite daneben. Erinnern Sie sich noch an den Tropensturm Harvey, der im August 2017 die Millionenstadt Houston und halb Texas absaufen ließ? Die Texaner hätten sich zu jener Zeit über eine Dürre gefreut, unter der litt stattdessen Kalifornien am anderen Ende des Kontinents. Dürren und Überschwemmungen gab es 2017 sowohl in Europa als auch in Amerika. Und es wird sie wahrscheinlich auch 2018 geben. Diese "Vorhersage" ist übrigens, vor allem in Zeiten den Klimawandels, eine ebenso sichere Bank wie die über Bayern München als Deutscher Fußballmeister.

Dessen ungeachtet lässt DerWesten Craig Hamilton-Parker abermals zu Wort kommen. Und das auch noch mit dem Hinweis, der britische Wahrsager scheine "oft Erfolg mit seinen Prophezeiungen zu haben". Stimmt, wenn man an Amnesie leidet. Seine düsteren Vorhersagen für das kommende Jahr: "2018 wird ein Jahr voller politischer Tumulte und Umweltkatastrophen, die durch dramatisches und noch nie da gewesenes Wetter ausgelöst werden." In Indien und auf dem europäischen Kontinent, u.a. in Italien und Island, soll es zu schweren Erdbeben kommen. Erneut prophezeit er den Sturz des nordkoreanischen Diktators. [4] Allerdings ist er dieses Jahr deutlich vorsichtiger, d.h. unpräziser. Merke: Sogar Wahrsager sind lernfähig!

Nein, am besten ist wohl, auf den Jahresrückblick und die Prognosen für das kommende Jahr ganz zu verzichten. Lassen wir also den drohenden Atomkrieg Atomkrieg sein und feiern für einen kurzen Moment völlig unbekümmert Silvester. Mit Bier und Chips auf der Couch sowie dem obligatorischen "Dinner for one" im TV. Was uns 2018 hoffentlich schlimmstenfalls droht, ist im Januar der Blick auf die Waage.

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[1] Spiegel-Online vom 29.12.2016
[2] Hamburger Abendblatt vom 30.12.2017
[3] DerWesten vom 02.02.2017
[4] DerWesten vom 05.12.2017