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28. Dezember 2016, von Michael Schöfer
Lügengebäude fallen wie ein Kartenhaus zusammen


Ich bin echt gespannt darauf, welche "Argumente" nun vorgebracht werden. Bislang wurde ja der Vorwurf, Russland betreibe Staatsdoping, stets mit angeblich fehlenden Beweisen zurückgewiesen oder lapidar als "Hetze der Medien" abgetan. O-Ton Wladimir Putin: "In Russland hat es nie ein staatliches Dopingsystem oder Doping-Unterstützung gegeben, das ist einfach unmöglich." Das war der Stand kurz vor Weihnachten. Doch jetzt hat die Chefin der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada, Anna Anzeliowitsch, erstmals systematisches Doping eingeräumt und damit alle Putin-Versteher bis auf die Knochen blamiert. Neue Verteidigungslinie: Es sei eine "institutionelle Verschwörung" gewesen, die Regierung habe davon nichts gewusst.

Allerdings ist auch das wenig glaubhaft, wie der Bericht des Chefermittlers der Welt-Anti-Doping-Agentur, Richard McLaren, zeigt. Danach sind die Manipulationen bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi vom russischen Sportministerium "geleitet, kontrolliert und überwacht" worden - unter tatkräftiger Mithilfe des Inlandsgeheimdienst FSB. Und es wird ja wohl keiner zu behaupten wagen, Putin habe seinen eigenen Geheimdienst nicht mehr unter Kontrolle. Insbesondere dann, wenn es, wie bei den Spielen in Sotschi, ums nationale Prestige geht.

Nein, Russland hat betrogen. Aber es fällt Betrügern eben naturgemäß furchtbar schwer, mea culpa zu rufen. Wenn Lügengebäude wie ein Kartenhaus zusammenfallen, ist das immer extrem schmerzlich, manchmal jedoch unumgänglich. Zur Wahrheit gehört freilich genauso: Im Westen wird ebenfalls gedopt, wenngleich mutmaßlich nicht unter staatlicher Oberaufsicht. Die Betonung liegt hierbei auf "mutmaßlich".

Nachtrag (16:30 Uhr):
Die russische Anti-Doping-Agentur Rusada hat die Aussage von Anna Anzeliowitsch dementiert. Auch der Kreml stellte die Glaubwürdigkeit des Berichts der New York Times infrage. Ich gehe davon aus, dass sich dies relativ leicht aufklären lässt, denn wie man auf dem Bild von Anna Anzeliowitschs Interview mit der NYT sieht, wurde es - wie üblich - aufgezeichnet. Vor ihr auf dem Tisch steht ein großes Mikrophon. Und die New York Times ist normalerweise eine zuverlässige Quelle.