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14. Januar 2018, von Michael Schöfer
Die SPD wird die dritte GroKo unter Merkel bitter bereuen


"Diese Regierung ist abgewählt", stellte der SPD-Vorsitzende Martin Schulz nach der für seine Partei desaströs verlaufenen Bundestagswahl fest. Die SPD erzielte mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik. Für die Union war es wenigstens "nur" das zweitschlechteste Ergebnis (32,9 %), bloß bei der allerersten Wahl im Jahr 1949 schnitt sie noch schwächer ab. Die drei Regierungsparteien (CDU, CSU, SPD) verloren zusammen 13,8 Prozentpunkte. Ein Auftrag zum Weiterregieren sieht in der Tat anders aus.

"Es gibt nichts schönzureden", sagte CSU-Chef Horst Seehofer noch am Wahlabend und zog daraus den Schluss: "Wir haben verstanden! Es darf kein 'Weiter so' geben." [1] Für die SPD war ebenfalls klar: Es gibt kein "Weiter so". Martin Schulz verkündete unter großem Jubel im Willy-Brandt-Haus: "Mit dem heutigen Abend endet die Zusammenarbeit mit der CDU/CSU. [2] Es ist völlig klar, dass der Wählerauftrag an uns der der Opposition ist." [3] Die SPD stehe für eine Große Koalition nicht zur Verfügung. Doch was sollen die Bürger nun nach dem Ergebnis der Sondierungsgespräche bekommen? Genau: Die Große Koalition (GroKo). Und damit einhergehend eine Politik des "Weiter so".

Der Kurswechsel ist atemberaubend. So betonte beispielsweise Andrea Nahles Mitte November im ARD-Morgenmagazin, dass die SPD selbst dann nicht für eine Regierung mit der Union zur Verfügung stehe, wenn die Jamaika-Koalition scheitere. [4] Jetzt ist Nahles plötzlich überzeugt davon, dass eine erneute Große Koalition mit der Union durchaus gelingen könne. [5] Zudem ist von ihrer Drohung ("Die SPD wird gebraucht. Bätschi, sage ich dazu nur. Und das wird ganz schön teuer.") nicht allzu viel übrig geblieben. [6]

Die auf 28 Seiten gesammelten Ergebnisse der Sondierungsgespräche sind ziemlich dünn ausgefallen und für Sozialdemokraten eigentlich enttäuschend. Aber was soll auch anderes dabei herauskommen, wenn Wahlverlierer ein Bündnis schmieden. Sie tun halt so, als sei nichts geschehen. Vermutlich rückt Martin Schulz demnächst auch noch von seiner Aussage ab, er werde nie in eine Regierung Merkel eintreten. Das würde das jämmerliche Bild zweifelsohne komplettieren. Nur die Bundeskanzlerin setzte von Anfang an konsequent auf ein "Weiter so": "Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten", erklärte sie am Wahlabend nach Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses. [7] Wir haben nichts falsch gemacht, sollte das heißen. Wohlgemerkt: Nach einem Verlust von fast 14 Prozentpunkten für ihre Regierung.

Man kann sich unschwer eine berauschendere Wochenendlektüre vorstellen, als die Ergebnisse der Sondierungsgespräche. [8] Dennoch hat sie sich gelohnt. Wichtig im vorliegenden Zusammenhang ist zunächst, was die SPD nicht bekommen hat: Keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und keine Bürgerversicherung. Dafür darf sich die CSU mit einer Obergrenze bei der Zuwanderung brüsten. Da allerdings das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention unangetastet bleiben, ist offen, welche konkreten Folgen die Überschreitung des Schwellenwerts nach sich zieht. Rechtlich gesehen ist sie völlig unverbindlich.

Und bereits jetzt gibt es diesbezüglich Interpretationsprobleme. Die CSU wertet die Vereinbarung wie folgt: "Begrenzung bei der Zuwanderung: Die CSU hat sich mit der Obergrenze durchgesetzt. Es wurde vereinbart, dass die Zuwanderungszahlen die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden." [9] Während Martin Schulz die Sache anders verkauft: "In der Flüchtlingspolitik wies der SPD-Vorsitzende die Darstellung zurück, wonach seine Partei eine Obergrenze akzeptiert habe. 'Da wissen die Kritiker nicht, wovon sie reden', betonte Schulz. 'Obergrenze hieße, das Asylrecht oder die Genfer Flüchtlingskonvention auszuhöhlen. So etwas gibt es mit der SPD nicht.' In der Sondierungsvereinbarung werde lediglich festgestellt, dass in den zurückliegenden Jahren – außer 2015 – jeweils 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien. Eine Festlegung für die Zukunft bedeute das nicht." [10] Was stimmt denn nun? Soll jeder das zu hören bekommen, was ihm in den Kram passt - einerseits die CSU-Wähler ("schaut her: verbindliche Obergrenze vereinbart"), andererseits die SPD-Basis ("schaut her: verbindliche Obergrenze abgewehrt")? Das lässt auf dreieinhalb Jahre reibungslose Zusammenarbeit hoffen.

Weitere markante Punkte: Der Solidaritätszuschlag soll schrittweise abgeschafft und die Beiträge zur Krankenversicherung wieder paritätisch finanziert werden. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt um 0,3 Prozentpunkte. Das Kindergeld wird um 25 Euro erhöht, das Ehegattensplitting bleibt aber ebenso erhalten wie der steuerliche Kinderfreibetrag. Die GroKo will das Rentenniveau bis 2025 auf 48 Prozent festschreiben, alles Weitere klärt eine noch zu bildende Rentenkommission. Für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus wollen die Regierungsparteien gerade mal 2 Mrd. Euro ausgeben - genauso viel wie für die steuerliche Förderung von mehr Wohneigentum. Trotz des bescheidenen Finanzrahmens glauben die Koalitionäre in spe, damit bis zum Ende der Legislaturperiode 1,5 Mio. Wohnungen schaffen zu können (pro Jahr 375.000). Das wird die Wohnungsnot in den Ballungsräumen, die horrenden Mietpreissteigerungen und demzufolge den Mangel an bezahlbarem Wohnraum wahrscheinlich kaum lindern. Und in puncto Klimaschutz regiert das Prinzip Hoffnung. Das Klimaziel 2020 ist mittlerweile unerreichbar, aber das Klimaziel 2030 will die GroKo auf jeden Fall einhalten. Versprochen ist versprochen.

Der angekündigte "europapolitische Aufbruch" besteht überwiegend aus unverbindlichem Schwadronieren. Ein Beispiel: "Wir wollen den Zusammenhalt Europas auf Basis seiner demokratischen und rechtstaatlichen Werte auf allen Ebenen vertiefen und das Prinzip der wechselseitigen Solidarität stärken", behauptet die GroKo. Warum dann ausgerechnet die EU-bedingte freiwillige Aufnahme von monatlich 1.000 Migranten aus Griechenland und Italien entfallen soll, erschließt sich dem geneigten Leser nicht. Das ist nämlich das Gegenteil von Solidarität und wird in den beiden Mittelmeeranrainerstaaten die ohnehin angespannte Lage verschärfen.

Die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, hatte vollkommen recht, als sie das Sondierungsergebnis als "ganz kleines Karo" bezeichnete. Die SPD war aus der Sicht der Union billig zu haben, Angela Merkel lacht sich bestimmt ins Fäustchen. Freuen wird sich auch die AfD, die künftig die größte Oppositionspartei ist. Ob angesichts dessen das Wahlergebnis der SPD im Jahr 2021 besser ausfällt als 2017, wage ich zu bezweifeln. Dafür sind die Ergebnisse einfach zu mager. Es ist das dabei herausgekommen, was man schon vor der Bundestagswahl von einer Fortsetzung der GroKo erwarten konnte. Ein unambitioniertes "Weiter so" eben.

Was sich die Sozialdemokraten zwischenzeitlich alles gefallen lassen, ist erstaunlich. "CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat SPD-Chef Martin Schulz aufgefordert, die Kritik in der SPD an den Ergebnissen der Sondierungsgespräche mit der Union zu beenden. Schulz müsse jetzt zeigen, 'dass die SPD ein verlässlicher Koalitionspartner sein kann und er den Zwergenaufstand in Griff bekommt'." [11] Innerparteiliche Demokratie? Lebendige Diskussionskultur? Laut Dobrindt offenbar verzichtbar. Wer obendrein die Kritik der SPD-Basis als "Zwergenaufstand" diffamiert, will die SPD bewusst demütigen. Was macht die Traditionspartei? Sie nimmt es hin. Unglaublich! Die Sozialdemokraten sind zu Recht stolz auf Otto Wels, der sich am 23. März 1933 im Reichstag mutig Hitlers Ermächtigungsgesetz widersetzte ("Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht"), doch jetzt kuschen sie vor einem politischen Leichtgewicht. Das verstehe wer will. Und obgleich die eigentlichen Koalitionsverhandlungen noch gar nicht begonnen haben, bislang gab es ja lediglich Sondierungsgespräche, also das Erkunden, ob überhaupt etwas gehen könnte, will die Union nicht nachbessern. Motto: Vogel, friss oder stirb.

Meine Prognose: Die SPD wird den Gang in die dritte GroKo unter Merkel bitter bereuen. In vier Jahren jammert sie gewiss: "Ach, hätten wir es doch bloß nicht getan." Zu spät, heißt es dann.

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[1] CSU vom 25.09.2017, PDF-Datei mit 303 kb
[2] Tagesspiegel vom 24.09.2017
[3] Süddeutsche vom 25.09.2017
[4] Die Zeit-Online vom 17.11.2017
[5] tagesschau.de vom 12.01.2018
[6] Handelsblatt vom 08.12.2017
[7] Spiegel-Online vom 28.09.2017
[8] SPD, Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD, PDF-Datei mit 574 kb
[9] CSU vom 12.01.2018, PDF-Datei mit 519 kb
[10] FAZ.Net vom 13.01.2018
[11] ZDF vom 14.01.2018