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22. Januar 2018, von Michael Schöfer
Das letzte Wort hat der Wähler


Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat in seiner Rede auf dem Bonner Parteitag darauf hingewiesen, dass die Mitglieder seiner Partei das letzte Wort über das Zustandekommen der Großen Koalition haben. Doch das stimmt nur bedingt, denn das letzte Wort über die GroKo haben die Wählerinnen und Wähler, und zwar spätestens im Herbst 2021 bei der nächsten Bundestagswahl. Der Erfolg oder Misserfolg an den Wahlurnen ist der eigentliche Gradmesser der sozialdemokratischen Strategie. Und angesichts des desaströsen Wahlergebnisses vom 24. September 2017 muss sich die SPD ordentlich anstrengen, in dreieinhalb Jahren nicht völlig unterzugehen.

Ob allerdings das, was sie bislang ausgehandelt hat, dazu ausreicht, den Niedergang der Partei zu stoppen, bleibt abzuwarten. Das werden die Wählerinnen und Wähler aufgrund der tatsächlichen Politik der GroKo entscheiden. Und im Gegensatz zu dem, was auf Parteitagen für gewöhnlich gesagt wird, muss dann jeder für sich selbst feststellen, ob er von Schwarz-Rot profitiert hat oder nicht. Wehe der SPD, sollte sich das Eigenlob ("wir haben eine Menge erreicht") am Ende bloß als substanzlose Propaganda entpuppen.

Schulz nimmt den Mund wie gewohnt ziemlich voll: "Für eine Koalition des 'Weiter so!' stehen wir nicht zur Verfügung. Für eine müde Regierung des Stillstands ohne Ambitionen, ohne den Willen und den Mut zur Veränderung reichen wir nicht die Hand", versicherte er in Bonn. [1] Er will in den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen das Verbot der sachgrundlosen Befristungen "wieder aufrufen" (was immer das konkret heißen mag) und Maßnahmen zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin sogar "durchsetzen". Im Versprechen abgeben hat Schulz ja mittlerweile Routine ("in eine Regierung von Angela Merkel werde ich nie eintreten").

Und er beteuert: "Es gibt keine Obergrenze bei Flüchtlingen mit der sozialdemokratischen Partei!" Auch wenn die CSU steif und fest das Gegenteil behauptet. Das ist freilich ohnehin der merkwürdigste Punkt im Sondierungspapier. Wenn es, wie Schulz betont, lediglich eine Feststellung über den Umfang der Zuwanderung in der Vergangenheit ist, stellt sich unwillkürlich die Frage, was das in einem Sondierungspapier zu suchen hat. Es wird schließlich über die künftige Politik, nicht über die bereits hinter uns liegende verhandelt. Der Sinn dieser Passage will sich mir einfach nicht erschließen - jedenfalls nicht gemäß der Interpretation des SPD-Vorsitzenden. Schulz sichert stattdessen zu: "Die Härtefallregelung [für den Familiennachzug von Flüchtlingen] wird kommen!"

Da darf man angesichts der Blockadehaltung der Union wirklich gespannt sein. Möglich, dass der in Aussicht gestellte Koalitionsvertrag bei der Basis durchfällt und die Abstimmung für die Parteiführung in die Hose geht. Aber ist das wahrscheinlich? Bis dato hat sich die SPD noch immer über den Tisch ziehen lassen. Zumindest die Abgeordneten haben letztlich alles brav abgesegnet: Agenda 2010, Rentenkürzungen, Ausweitung des Niedriglohnsektors, Rüstungsexporte, Senkung des Spitzensteuersatzes, Reduzierung der Unternehmensteuer, Aufgabe der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung etc. Angeblich zwar stets mit politischen Bauchschmerzen, aber was nützt das denen, die darunter zu leiden haben? Nichts!

So wie jetzt: Erst nie wieder GroKo, dann doch GroKo, erst Neuwahlen nach dem Scheitern von Jamaika, dann doch keine Neuwahlen… Die SPD ist nur in einem beständig - in ihrer Unbeständigkeit. Der Niedergang der Partei hat Gründe. Schade, dass die Parteiführung entgegen ihren Bekundungen weitermacht wie bisher. So wird das wohl nichts mit der Erneuerung.

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[1] SPD, Rede von Martin Schulz beim außerordentlichen SPD-Bundesparteitag in Bonn, PDF-Datei mit 247 kb