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27. Januar 2018, von Michael Schöfer
Das Verhalten der Bundesanwaltschaft ist unfassbar


Das musste ich echt zweimal lesen, so absurd erschien mir die Meldung, dennoch ist sie offenbar wahr: "Bundesanwaltschaft stellte hunderte Ermittlungsverfahren gegen Islamisten ein", titelt die Süddeutsche. "Fast die Hälfte aller Terror-Ermittlungsverfahren hat die Bundesanwaltschaft im vergangenen Jahr eingestellt. Allerdings meist nicht aus Mangel an Beweisen, wie sich jetzt herausstellt, sondern fast immer aus eigenem Ermessen der Bundesanwaltschaft heraus. So sah die Karlsruher Anklagebehörde bei 564 Personen im vergangenen Jahr von einer Verfolgung wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ab, obwohl der Tatverdacht fortbestand. Es handele sich um reine Auslandstaten, etwa im Dienst der radikalislamistischen Taliban, und 'deutsche Staatsschutzinteressen' seien aus Sicht der Karlsruher Behörden 'nicht beeinträchtigt' gewesen, erklärte der Generalbundesanwalt Peter Frank am Donnerstag in Karlsruhe." [1]

Ich habe ja Verständnis dafür, dass die deutschen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit der Anzahl der Straftaten mit islamistischem Hintergrund überlastet sind, dennoch dürfen sie es sich meines Erachtens nicht so einfach machen. Es ist nicht einmal eine Woche her, da griffen die Taliban ein Luxus-Hotel in Kabul an, nach offiziellen Angaben kamen dabei 29 Menschen ums Leben, darunter eine deutsche Entwicklungshelferin aus Baden-Württemberg. Die Taliban bekannten sich zu dem Anschlag, an ihrer Täterschaft dürfte es daher kaum Zweifel geben. 2016 zündeten die Taliban vor dem deutschen Konsulat in Masar-i-Scharif eine Autobombe. Auch dazu haben sie sich bekannt. Und nach Angaben der Bundeswehr sind in Afghanistan bislang 35 Bundeswehrsoldaten "durch Fremdeinwirkung gefallen", die meisten wohl durch Aktivitäten der Taliban. Bloß um ein paar Beispiele zu nennen.

Alles reine Auslandsstraftaten, die die deutschen Staatsschutzinteressen nicht berühren? Das ist wirklich haarsträubend und verhöhnt die Opfer der Taliban. Wir schicken also Bundeswehrsoldaten im deutschen Interesse nach Afghanistan (der frühere Bundesverteidigungsminister Peter Struck: "Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt."), doch wenn sie dort von den Taliban angegriffen werden, berührt das angeblich keine deutschen Staatsschutzinteressen. Man kann ja durchaus über die Sinnhaftigkeit des Afghanistaneinsatzes diskutieren, aber die hiesigen Behörden sollten dazu wenigstens eine stringente Haltung einnehmen. Das heißt für mich: Wenn sich hierzulande jemand als Unterstützer oder Mitglied der Taliban outet, darf man die Ermittlungen doch nicht sang- und klanglos einstellen. In meinen Augen ist das Verhalten der Bundesanwaltschaft unfassbar.

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[1] Süddeutsche vom 27.01.2018