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09. Februar 2018, von Michael Schöfer
Vom Olymp erscholl das unermessliche Lachen der Götter


Oh, welch ein Chaos. Nun will Martin Schulz doch nicht Außenminister werden, denn endlich hat auch er bemerkt, dass der beabsichtigte Karrieresprung auf einen Kabinettsposten keinem mehr vermittelbar ist - nicht einmal den eigenen Genossen. Der Bruch seines Versprechens, nie in eine Regierung von Angela Merkel einzutreten, war eine 180 Grad-Wende zu viel. Schulz' Agieren als unglücklich zu bezeichnen, wäre ein Euphemismus. Er hinterlässt ein Trümmerfeld. Seine noch ungeschriebenen Memoiren könnten dereinst lauten: "Wie ich meine Partei kaputt machte." Mit einem Vorwort von Gerhard Schröder. Band 1 und 2 gibt’s zum Sonderpreis auf dem Wühltisch.

Die SPD, ohnehin durch das schlechteste Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik gebeutelt, ist in der Wählergunst noch mehr abgesackt. Durch seine ständigen Positionswechsel (GroKo nein, GroKo vielleicht, GroKo ja) hat Schulz die Traditionspartei der Lächerlichkeit preisgegeben, obendrein konnte er in den Koalitionsverhandlungen keine sozialdemokratischen Leuchttürme durchsetzen. Wenn stimmt, was in der Süddeutschen zu lesen war, dass die SPD ausgerechnet bei der abschließenden Ressortzuteilung am härtesten und erfolgreichsten verhandelt hat, bestätigt das alle einschlägigen Vorurteile über Politiker. [1] Denn es stellt sich unwillkürlich die Frage, warum sie es etwa bei der Erhöhung des Spitzensteuersatzes unterlassen hat. War die Postenvergabe womöglich doch wichtiger als das Erzielen von Ergebnissen bei Sachfragen?

"Lasst uns gemeinsam die Erneuerung der SPD vorantreiben! Gemeinsam wollen wir die Zukunft unserer Partei gestalten und wieder der Ort werden, an dem die großen Zukunftsfragen unserer Zeit debattiert werden", schreibt die SPD auf ihrer Website und wirbt damit um Mitglieder. [2] Und was macht SPD-Chef Martin Schulz? Entscheidet nach Gutsherrenart, Andrea Nahles als seine Nachfolgerin vorzuschlagen. War das eine einsame Entscheidung oder war daran wenigstens auch das berühmt-berüchtigte Hinterzimmer beteiligt? Jedenfalls soll die Basis die Personalentscheidung auf einem Parteitag bloß noch brav abnicken dürfen. Immerhin, der Form ist Genüge getan, der demokratische Anschein muss schließlich gewahrt bleiben. Nach Erneuerung sieht das Ganze aber nicht aus, eher nach der altbekannten Kungelei unter Parteifunktionären.

Für Außenstehende ist schwer nachvollziehbar, was die früheren Freunde Sigmar Gabriel und Martin Schulz entzweit hat. Doch zumindest das Mitleid mit dem "armen Siggi", derzeit einem der beliebtesten Politiker Deutschlands, ist zu einem Gutteil Heuchelei. Das Gedächtnis ist bekanntlich kurz, weshalb man beiläufig daran erinnern muss, dass Gabriel zweimal als Kanzlerkandidat gekniffen hat (2013 und 2017). Er wolle sich mehr seiner Familie widmen, begründete Gabriel im Januar 2017 die Entscheidung, Martin Schulz die Kanzlerkandidatur zu überlassen. Und im Gegensatz zu heute waren damals seine Umfragewerte im Keller. Dem ARD-Deutschlandtrend vom Dezember 2016 zufolge hätten sich zu jener Zeit bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers 57 Prozent der Befragten für Angela Merkel entschieden, lediglich 19 Prozent für Sigmar Gabriel. [3] Viele Sozialdemokraten waren über Gabriels Verzicht erleichtert. "Der Zustand der Sozialdemokratie ist prekär. Und Sigmar Gabriel wurde nicht mehr zugetraut, dies zu ändern. Jetzt hat er es eingesehen. Gut so", kommentierte der Tagesspiegel. "Er hätte die SPD vor dem Absturz unter die 20-Prozent-Marke nicht bewahren können." [4] Es stand ja auch der Hoffnungsträger Martin Schulz zur Verfügung, der würde es bestimmt viel besser machen als der unbeliebte Parteivorsitzende, schließlich eilte ihm der Ruf als begabter Wahlkämpfer und starker Redner voraus. Im Nachhinein klingt es wie Hohn.

Und dann das: 20,5 Prozent-Debakel bei der Bundestagswahl, vollmundige Ankündigungen (wir stehen für eine Große Koalition nicht zur Verfügung), schlechte Verhandlungsführung, peinliche Rückzieher (der SPD-Vorstand hat den Koalitionsvertrag mit großer Mehrheit gebilligt), unwürdiges Postengeschacher, Freundschaftsverrat, gebrochene Versprechen ("In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten. Ganz klar!"), Hinterzimmerkungelei, Chaostage ohne Ende… Kann es für die SPD eigentlich noch schlechter kommen? Wohl kaum. Selbst Wohlmeinende dürften fassungslos sein, die Sozialdemokratie ist zu einer Gurkentruppe verkommen. Und wer kann die SPD aus diesem Loch wieder herausholen? Die Bätschi-Nahles? Ein Grieche namens Homer hätte an dieser Stelle vermerkt: "Vom Olymp erscholl das unermessliche Lachen der Götter." Eine Tragödie, gewiss, aber keine antike.

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[1] Süddeutsche vom 08.02.2018
[2] SPD, SPD erneuern
[3] tagesschau.de vom 18.12.2016
[4] Der Tagesspiegel vom 24.01.2017