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04. Mai 2018, von Michael Schöfer
Kurioserweise rettet uns die SPD


Ach, was haben wir uns kürzlich wieder über Amazon aufgeregt: Jeff Bezos, der Chef des Online-Versandhändler, verdiente im vergangenen Jahr 36.720 US-Dollar - wohlgemerkt pro Minute, nicht pro Jahr. Dagegen beträgt das Durchschnittseinkommen seiner Beschäftigten bloß 28.446 US-Dollar - wohlgemerkt pro Jahr, nicht pro Minute. [1] Kein Wunder, dass Bezos inzwischen mit einem Reinvermögen von 112 Mrd. US-Dollar der reichste Mann auf Erden ist. In Deutschland verweigert der Handelskonzern übrigens seinen Mitarbeitern noch immer, nach dem günstigeren Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel bezahlt zu werden. Von den kreativen Steuersparmodellen ganz zu schweigen. Die Kunden lässt das allerdings kalt: "Im ersten Quartal des laufenden Amazon-Geschäftsjahrs stieg der Umsatz im Jahresvergleich um 43 Prozent auf 51 Milliarden Dollar. Der Nettogewinn kletterte von 724 Millionen auf 1,6 Milliarden Dollar." [2] Den Kunden, die durch ihr Kaufverhalten daran etwas ändern könnten, ist das offenbar vollkommen schnuppe.

Ach, was haben wir uns kürzlich über den Umgang von Facebook mit den Daten seiner Kunden echauffiert. Skandal, Skandal, rauschte es durch den Blätterwald. Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat sich vor dem US-Kongress pflichtgemäß reumütig gezeigt. Na ja, wenigstens ein bisschen. Pro forma. Was man halt als Chef einer Datenkrake so sagt, wenn einem die Volksvertreter auf die Pelle rücken. "Sorry!" Die Kunden lässt das allerdings kalt: "Die monatlich aktiven Nutzer stiegen sogar von 2,13 Milliarden auf 2,2 Milliarden. Der Quartalsumsatz stieg im Jahresvergleich um 49 Prozent auf 11,97 Milliarden US-Dollar. Damit sprang auch der Gewinn auf knapp fünf Milliarden Dollar." [3] Mark Zuckerberg ist laut Forbes mit einem Reinvermögen von 71 Mrd. US-Dollar der fünftreichste Mensch des Planeten. Den Nutzern des sozialen Netzwerks, die durch ihr Verhalten (Löschung des Accounts) etwas ändern könnten, ist das offenbar vollkommen schnuppe.

Ex-VW-Chef Winterkorn ist mächtig in der Bredouille, die US-Justiz will ihn nämlich anklagen. Vorwurf: Betrug sowie Verschwörung zum Verstoß gegen Umweltgesetze und zur Täuschung der Behörden. Ihm droht eine lange Haftstrafe von bis zu 25 Jahren. Prognose: Winterkorn wird wohl künftig vorsichtshalber nur noch in Deutschland Urlaub machen. Hoffentlich trösten ihn die 3.100 Euro, die er Presseberichten zufolge pro Tag als Betriebsrente bekommen soll, darüber ein bisschen hinweg. [4] Zwar hat VW in den USA eine Milliardenstrafe bezahlt und dort Kunden entschädigt, doch Käufer in Deutschland sind bislang leer ausgegangen. Es wird noch prozessiert, freiwillig rückt der Autobauer jedenfalls nichts heraus. Von den bislang verweigerten Hardware-Nachrüstungen ganz zu schweigen. Die Kunden lässt das allerdings kalt: Der Volkswagen-Konzern hat 2017 einen Rekordgewinn von 11,6 Mrd. Euro (netto nach Steuern) erwirtschaftet und 10,7 Mio. Fahrzeuge verkauft (ebenfalls so viel wie noch nie). [5] Den Kunden ist der Abgasskandal offenbar vollkommen schnuppe, das Vertrauen in den Autobauer nach wie vor ungebrochen.

Man könnte manchmal an der Menschheit verzweifeln: Den Ungarn ist offenbar die Autokratie von Viktor Orbán vollkommen schnuppe, sie haben seiner Partei jüngst abermals eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit verschafft. US-Präsident Donald Trump lügt und lügt, doch 51 Prozent der Amerikaner meinen: Er macht einen guten Job. Unglaublich: Trump ist damit sogar beliebter als sein Vorgänger Barack Obama. [6] Kurioserweise rettet die SPD unseren Glauben an die Menschheit, denn seit der Wahl von Andrea Nahles sind die Sozialdemokraten laut Sonntagsfrage auf blamable 17 Prozent abgesackt. Offenbar ist es zumindest den deutschen Wählerinnen und Wählern überhaupt nicht schnuppe, dass es entgegen dem Erneuerungsversprechen im Regierungshandeln ein konsequentes "Weiter so" gibt. Kleiner Wermutstropfen: Die rechtspopulistische AfD profitiert davon leider am meisten. Okay, das mit der Rettung des Glaubens an die Menschheit ist eben relativ.

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[1] Süddeutsche vom 25.04.2018
[2] heise.de vom 27.04.2018
[3] Adzine vom 03.05.2018
[4] finanzen.net vom 13.04.2018
[5] Volkswagen AG, Geschäftsbericht 2017, PDF-Datei mit 18 MB
[6] merkur.de vom 18.04.2018