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06. Mai 2018, von Michael Schöfer
Am Ende gehören Sie zu den Gelackmeierten


Die altehrwürdige Schwedische Akademie? Wirklich? Ja, auch die! Enttäuschend, aber ziemlich aufschlussreich, denn die Vorgänge dort zeigen abermals: Traue keinem! Die Schwedische Akademie ist gewissermaßen das Paradebeispiel für den Homo sapiens: Dieses eigennützige und selbstherrliche Verhalten, das sich jahrelang unter einer Fassade erlesener Bildung, Wohlerzogenheit und Anstand verbarg. Immerhin vergibt die Schwedische Akademie in jedem Jahr aufs Neue den Literaturnobelpreis. Nun ja, 2018 fällt das ausnahmsweise einmal aus, weil selbst die glänzende Fassade nicht mehr über den Abgrund an menschlicher Niedertracht hinwegtäuschen konnte.

Die Mitglieder der Schwedischen Akademie sind auf Lebenszeit gewählt und unterstehen als Gremium keiner Kontrolle, doch die Mechanismen der Selbstregulierung haben offenkundig nicht gegriffen. Was zeigt uns das? Eine neutrale Kontrollinstanz ist, egal um was es geht, unentbehrlich. Und Transparenz, weil die Öffentlichkeit lange Zeit vom wahren Geschehen überhaupt nichts mitbekam. Dies gilt sowohl im Kleinen wie auch im Großen. Niemand ist vor Versuchungen gefeit. Wer niemals der Versuchung erlag, werfe den ersten Stein! Aber gerade deshalb ist es ein Kardinalfehler, bloß auf Vertrauen zu setzen. Wenn etwa Politiker beteuern, sie würden niemals das Vertrauen ihrer Wähler enttäuschen, sollte man erst recht misstrauisch sein. Noch mehr, wenn sie ankündigen, die grassierende Korruption zu bekämpfen. Meist geht es ihnen nämlich nur darum, selbst an die Fleischtöpfe zu gelangen.

Den Demokratien liegt ja nicht ohne Grund das Prinzip der Gewaltenteilung zugrunde, weil Macht naturgemäß zum Missbrauch derselben einlädt. Neben einer funktionierenden Presse als sogenannter vierter Gewalt sind wirklich unabhängige Gerichte für das Funktionieren der Demokratie entscheidend. Dort, wo es keine unabhängigen Gerichte gibt, gerät das fein austarierte Gleichgewicht der Gewalten schnell aus dem Lot. Vielleicht ist das zu abstrakt, deshalb will ich an zwei Beispielen den Unterschied verdeutlichen.

Am Wochenende demonstrierten in Paris Zehntausende gegen die Politik von Emmanuel Macron, sie warfen dem französischen Präsidenten vor, wie ein Monarch zu regieren und verspotteten ihn als "König Ludwig XVI". Obgleich die Polizei das Ganze mit einem Großaufgebot von 2.000 Beamten begleitete, blieb alles friedlich. Es gab keine Verhaftungen. Hätte Macron den Versuch unternommen, die Demonstration zu verhindern oder gar niederzuknüppeln, hätten ihm wohl die Gerichte auf die Finger geschlagen.

Zur gleichen Zeit demonstrierten ein paar tausend Kilometer weiter östlich mehrere tausend Menschen gegen die Vereidigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Motto: "Er ist nicht unser Zar." (Die Parallele zu Paris ist vermutlich reiner Zufall, dennoch frappierend.) Die Polizei setzte Schlagstöcke ein und verhaftete Presseberichten zufolge etwa 1.600 Regierungsgegner. Der ausschlaggebende Unterschied: In Russland gibt es keine unabhängigen Gerichte, die der Staatsmacht Einhalt gebieten, deshalb sind die Bürger dort seit Jahren der Willkür der Behörden ausgeliefert.

Fazit: Kontrolle und Transparenz sind alles. Sobald eine Fassade, mag sie auch noch so glänzen, beides verhindert, müssten eigentlich sämtliche Alarmglocken läuten. Im Kleinen, etwa bei der Schwedischen Akademie, steht "bloß" das Renommee des Literaturnobelpreises auf dem Spiel. Bedauerlich, aber eben nur ein Beinbruch. Im Großen ist jedoch die Freiheit in Gefahr. Deshalb mein Rat: Hüten Sie sich vor Politikern, die "Volksherrschaft" rufen, aber höchstwahrscheinlich nur ihre eigene Herrschaft meinen. Am Ende, wenn es schief gegangen ist, gehören nämlich Sie zu den Gelackmeierten.