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14. Mai 2018, von Michael Schöfer
Ausgerechnet ein freiberuflicher Journalist


Iwan Petrowitsch Pawlow, das ist der mit dem Hund, hätte bestimmt seine Freude daran gehabt: Egal was die Russen machen, es wird sich bestimmt irgendein an den Haaren herbeigezogenes Argument zu ihrer Verteidigung finden. Das passiert so zuverlässig wie der Speichelfluss des besagten Hundes beim pawlowschen Reflex. (Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass umgekehrt manche die Russen ebenso wenig überzeugend für alles Böse in der Welt verantwortlich machen.)

Man wundert sich immer wieder aufs Neue, wie unsouverän politische Entscheidungen sind: Russland hat dem ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt, der dabei mitgeholfen hat, das russische Staatsdoping zu enttarnen, das Einreisevisum für die Fußball-WM entzogen. Seppelt gilt dort als "unerwünschte Person". "Was will ein Mensch, der mit Dreck wirft, mit unbestätigten Fakten arbeitet und in Russland nur das Negative sucht? Soll er doch die WM im Fernsehen anschauen. Wenn er objektive Filme über Russland macht, sind wir immer bereit, ihm ein Super-Visum auszustellen, mit mehrfacher Einreise und für ein Jahr", echauffierte sich Dmitri Swischtschow, das Mitglied des Sportausschusses der Staatsduma. [1] Angeblich wolle Seppelt die WM nur nutzen, um Russland zu verleumden. Um bei Iwan Petrowitsch Pawlow, übrigens ein Russe, zu bleiben: Getroffene Hunde bellen bekanntlich. Die vermeintlich "unbestätigten Fakten" lassen sich zum Beispiel im "McLaren-Report" nachlesen.

Für André Tautenhahn, ein freiberuflicher Journalist, der u.a. in der Redaktion der NachDenkSeiten mitarbeitet, ist Hajo Seppelt "ein notorischer Selbstdarsteller". Und er schreibt auf seinem Weblog: "Durch das Einreiseverbot eines einzelnen Journalisten ist die Pressefreiheit keinesfalls bedroht, zumindest nicht in dem Sinne, der hierzulande gemeint ist." [2] Das, was Tautenhahn genau unter Pressefreiheit versteht, erschließt sich einem dadurch freilich nicht. Wie ist denn Pressefreiheit hierzulande gemeint? Versuchen wir es der Einfachheit halber mal mit dem Bundesverfassungsgericht: "Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Informationen versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommenden Funktionen wirksam wahrzunehmen. Der Presse kommt neben einer Informations- insbesondere eine Kontrollfunktion zu." [3] Die Betonung liegt im vorliegenden Fall auf "prinzipiell ungehinderten Zugang" und "Kontrollfunktion". Die Pressefreiheit ist konstitutiv (grundlegend, wesentlich, elementar) für die Demokratie. Das sollte Tautenhahn als freiberuflicher Journalist eigentlich wissen und befürworten. Die Pressefreiheit vom Einreiseverbot eines einzelnen Journalisten nicht bedroht? Zu Ende gedacht könnte man auch sagen: "Verbieten wir die NachDenkSeiten, durch das Verbot einer einzelnen Website wird die Pressefreiheit doch wohl keinesfalls bedroht sein." Aber das ist sie, sogar dann.

Es steht keinem zu, danach zu fragen, was Seppelt überhaupt in Russland vorgehabt habe. Über das, worüber sie berichten wollen, entscheiden Journalisten nämlich selbst. Sie brauchen keine staatlichen Aufpasser. Bei der Pressefreiheit geht es, siehe Bundesverfassungsgericht, letztlich um die gesamtgesellschaftliche Freiheit. In jedem Einzelfall. Und sie ist nichts, was einem nach Auffassung irgendeines Politikers manchmal großzügigerweise gewährt oder nach Gutdünken gelegentlich auch wieder entzogen werden darf. Zugegeben, autoritäre Systeme wie das russische ticken anders, dort beansprucht der Staat die Deutungshoheit, aber das sollte man weder verteidigen noch bagatellisieren. "Die Entscheidung der Russen finde ich verständlich", schreibt Tautenhahn in einem Kommentar. Echt?

Vor kurzem verließen Journalisten geschlossen eine Pressekonferenz der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag. Grund: Ein einzelner Journalist bekam von einem AfD-Sprecher das Fragerecht entzogen. Frappierende Parallele zu Russland: Die AfD warf ihm vor, "unsachlich" zu berichten. Daraufhin gingen alle Journalisten aus Protest hinaus und boykottierten die AfD-Pressekonferenz. Die einzig richtige Reaktion.

"Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) erklärte zu dem Vorfall: 'Der Entzug des Fragerechts für einen 'Bild'-Reporter in der Pressekonferenz der AfD-Fraktion ist ein beispielloser Vorgang. Zur Demokratie und zum guten Stil gehört es, Fragen von Journalisten zuzulassen.' Die Landespressekonferenz - ein Zusammenschluss von Journalisten, die über Brandenburg, die Arbeit der Landesregierung, des Landtages und der Parteien berichten - kritisierte das Frageverbot als 'schwerwiegenden Eingriff in die Pressefreiheit und absolut inakzeptabel'. (…) Linksfraktionschef Ralf Christoffers sagte, die Pressefreiheit sei durch das Grundgesetz geschützt. 'Dabei dürfen weder Sympathie oder Antipathie für die jeweiligen Journalisten oder ihre Redaktionen eine Rolle spielen, noch eine Auswahl von 'genehmen und nicht genehmen Fragen'." [4] Anders ausgedrückt: Ob man Hajo Seppelt für einen "notorischen Selbstdarsteller" hält oder nicht, ist in puncto Pressfreiheit vollkommen irrelevant.

Pressefreiheit bedeutet natürlich auch, dass man sich kritisch mit der Berichterstattung der Medien befassen darf. Keiner ist über Kritik erhaben. Selbstverständlich gilt das für die Arbeit von Hajo Seppelt genauso wie für die mitunter skurrilen Anmerkungen der NachDenkSeiten oder die Artikel auf dem Weblog von André Tautenhahn. In Gefahr ist die Pressefreiheit jedoch, wenn man die Arbeit der Medien behindert. Es geht ums Prinzip, schon die kleinste Grenzüberschreitung gefährdet die Freiheit als Ganzes, denn bei welcher Quantität oder Qualität des Eingriffs fängt sie an respektive hört sie auf? Es ist schon kurios, wenn dieses Prinzip ausgerechnet durch einen freiberuflichen Journalisten infrage gestellt wird. Jemand, der für sich selbst das Recht auf Meinungsäußerung in Anspruch nimmt, aber bei anderen, wenn es ihm in den Kram passt, davon wieder abrückt.

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[1] tagesschau.de vom 12.05.2018
[2] TauBlog vom 12.05.2018
[3] Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14.09.2015, 1 BvR 857/15
[4] rbb vom 08.05.2018