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| Impressum 15. Juni 2018, von Michael Schöfer Seehofers Konfrontationsstrategie macht keinen Sinn Es ist atemberaubend, wie sich die Politik durch Hysterisierung selbst in eine Sackgasse hineinmanövriert. Setzt sich CSU-Chef Horst Seehofer durch, werden Flüchtlinge künftig an den Grenzen wieder zurückgewiesen. Faktisch gilt dann erneut die Dublin-III-Verordnung, die aber lediglich einen Verschiebebahnhof der Flüchtlingsproblematik in Richtung Südländer (Griechenland, Italien, Spanien) bedeutet. Zur Erinnerung: In der Dublin-III-Verordnung ist geregelt, welcher EU-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist. Zuständig ist der Mitgliedstaat, dessen Grenze ein Flüchtling zuerst überschreitet. Deutschland, das mit Ausnahme der Nord- und Ostsee keine EU-Außengrenze hat (die Dublin-Regeln gelten auch in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz), wäre fein raus. Über die Nord- und Ostsee kommen keine Flüchtlinge bei uns an. Aufgrund den geografischen Gegebenheiten würden die Mittelmeeranrainer die Hauptbelastung tragen. Was sie ohnehin bereits tun, aber dann würde sich ihre Lage noch verschlimmern. Genau das war ja das Problem mit den Dublin-Regeln. Zudem verweigerten etliche Mitgliedstaaten generell die Aufnahme von Flüchtlingen, der Verteilungsschlüssel der Europäischen Kommission lief daher ins Leere. Die Wiederanwendung der Dublin-Regeln gefährdet den Zusammenhalt der EU. In Italien etwa wäre man sicherlich not amused. Das weiß Bundeskanzlerin Angela Merkel nur allzu gut, findet aber innerhalb der EU kaum Unterstützung, die Fliehkräfte der unterschiedlichen Interessen sind einfach zu groß. Und durch das Ultimatum der CSU ist inzwischen auch daheim Merkels Regierungsmehrheit in Gefahr. Eine Zwickmühle: Gibt sie Seehofer nach, ist das Sprengkraft für die EU. Bleibt sie ihm gegenüber standhaft, könnte das die Regierungskoalition sprengen. Aus ihrer Sicht wohl nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Man fragt sich unwillkürlich, ob dieser Preis für die CSU, die im Herbst bei den Landtagswahlen ihre absolute Mehrheit verteidigen muss, nicht zu hoch ist. Falls in letzter Minute kein Kompromiss mehr gefunden wird, treibt die bayerische Regionalpartei ihren Partikularinteressen zuliebe entweder die Bundesregierung oder die EU auseinander. Unglaublich. Früher kannten Politiker noch das Wort "Verantwortung". Nehmen wir an, die CSU zieht sich aus der Bundesregierung zurück, weil die Kanzlerin ihre Richtlinienkompetenz ausübt (über das Ende der EU will ich gar nicht erst spekulieren) - wie geht es dann weiter? CDU (200 Mandate) und SPD (153 Mandate) verfügen nicht über die Kanzlermehrheit (355 von insgesamt 709 Mandaten). Allerdings bliebe Angela Merkel bis zur Wahl eines neuen Kanzlers (konstruktives Misstrauensvotum gemäß Artikel 67 Grundgesetz) im Amt, sie ist schließlich schon vom Bundespräsidenten ernannt worden. Es ist jedoch weit und breit keine Mehrheit für die Anwendung des Artikels 67 in Sicht. Selbst wenn sich - rein hypothetisch - CSU, AfD, FDP und die beiden fraktionslosen Abgeordneten zum Kanzlerinnensturz zusammentäten, kämen sie bloß auf 220 Mandate. Viel zu wenig zum Sturz der Bundeskanzlerin. Wie bereits erwähnt, notwendig wären 355. Solange die Bundeskanzlerin nicht die Vertrauensfrage stellt, und niemand kann sie dazu zwingen, gibt es noch nicht einmal Neuwahlen. Nur dann, wenn Merkel Bundestagswahlen aktiv anstrebt. Sie müsste daher notgedrungen mit einer Minderheitsregierung weitermachen und sich für Gesetze im Deutschen Bundestag jeweils die Mehrheit suchen. Denkbar wäre der Eintritt einer Oppositionspartei in die Regierungskoalition, sowohl CDU, SPD und FDP (433 Mandate) als auch CDU, SPD und Grüne (420 Mandate) kämen gemeinsam auf die erforderliche Mehrheit. Dafür wären aber neue Koalitionsverhandlungen unumgänglich (sofern die Parteien überhaupt mitspielen). Neuwahlen,
bei denen die beiden Unionsparteien nach dem vorzeitigen Ende
der Koalition gezwungenermaßen getrennt antreten müssten,
könnten die AfD stärken. Ein Wahlkampf, in dem das
Flüchtlingsthema dominiert, wäre zweifellos Wasser auf die
Mühlen der Populisten. Zudem liefe die CSU Gefahr, an
Bedeutung zu verlieren, weil sie bislang nur in Bayern
antritt. 2017 bekam sie dort 2,869 Mio. Zweitstimmen, was
deutschlandweit lediglich 6,2 Prozent bedeuteten. Sie gewann
zwar in Bayern alle 46 Direktmandate, doch dabei bliebe es
dann auch. Mehr geht nicht, höchstens weniger. Träte die CDU
in Bayern an, wäre möglicherweise sogar das ein oder andere
Direktmandat in Gefahr, denn die Christsozialen fänden sich in
einer unbequemen Position wieder - in die Zange genommen von
CDU und AfD. Wer auf zwei Seiten verliert, der riskiert seinen
Spitzenplatz. Mit anderen Worten: Die CSU würde an Macht
einbüßen. Deshalb müsste sie sich, Kreuth lässt grüßen,
notgedrungen bundesweit ausdehnen und verlöre den Charakter
der gottgegebenen Bayernpartei. Vom Stemmen der
organisatorischen Fragen innerhalb so kurzer Zeit bis zum
Wahltermin ganz zu schweigen. Träte Merkel freiwillig ab, wen
würde die SPD als neuen Kanzler mitwählen? Horst Seehofer
bestimmt nicht. Eigentlich kann die CSU kein Interesse am
Kanzlerinnensturz haben. Ob so gesehen die
Konfrontationsstrategie Seehofers Sinn macht, ist zu
bezweifeln. Dass er es trotzdem tut, verwundert daher umso
mehr.
Gewissheiten lösen sich auf: Der demokratiegefährdende Vormarsch der Populisten im Allgemeinen und der Brexit sowie die Abwendung der USA von ihren Verbündeten im Speziellen. Jetzt eventuell die fortschreitende Erosion der Parteienlandschaft in Deutschland. Nun muss bloß noch eine ausgewachsene Wirtschaftskrise hinzukommen (Eurokrise, Handelskrieg etc.), dann haben wir alle Ingredienzien für eine grundlegende Änderung der politischen Verhältnisse beisammen. Die Parallelen zu den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts sind unverkennbar. |