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| Impressum 17. Juni 2018, von Michael Schöfer Ein Mix aus Ignoranz und Hysterisierung Man fragt sich, was die CSU geritten hat, das Asylthema ohne Not derart hochzukochen. Das hilft am Ende nur der AfD, denn das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es. Doch selbst wenn die wirtschaftliche Lage zu Beginn der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts zugegebenermaßen nicht mit der gegenwärtigen vergleichbar ist, muss man trotzdem daran erinnern, dass wohl kaum etwas so sehr den Aufstieg der NSDAP förderte, wie die unsoziale Sparpolitik des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning. Brüning
                  war vom 30. März 1930 bis zum 30. Mai 1932 Reichskanzler. Bei
                  der Reichstagswahl am 14. September 1930
                  bekamen die Nationalsozialisten 18,3 Prozent, bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 hatte
                  sich deren Stimmanteil mehr als verdoppelt (37,3 %). Von der
                  unseligen Rolle des Zentrumspolitikers Franz von Papen (Reichskanzler von Juni
                  bis Dezember 1932 und Steigbügelhalter Hitlers) ganz zu
                  schweigen. Die Deutsche Zentrumspartei galt bis zum
                  Ende der Weimarer Republik als Vertreterin des katholischen
                  Deutschlands und des politischen Katholizismus. Bei der
                  letzten freien Reichstagswahl im November 1932 lagen
                  übrigens ihre Hochburgen im heutigen Nordrhein-Westfalen, in
                  Bayern (!) und in Oberschlesien (seit 1945 Polen). Der Flüchtlingszuwachs von 2015 war zweifellos enorm, doch haben sich die Asylanträge seitdem wieder deutlich verringert. [1] Von daher fragt man sich schon, warum die CSU für das Asylthema sogar die eigene Bundesregierung aufs Spiel setzt. Das ist vollkommen irrational, weil 2017 die Anzahl der Asylanträge innerhalb der im Koalitionsvertrag stehenden Obergrenze blieb (Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 Menschen). Und bleibt es beim Zuwachs wie im Durchschnitt der ersten vier Monate des laufenden Jahres, wird das auch 2018 der Fall sein. Wo, Herr Seehofer, ist da bitteschön das Problem? Da wird Stimmung gemacht, die von den Fakten gar nicht gedeckt ist. 
   Das
                  Gleiche gilt für den Ausländeranteil in Deutschland. Der ist
                  seit 2010 von 6,7 auf 10,6 Mio. gestiegen, allerdings kommt
                  von den 10,6 Mio. fast die Hälfte aus den Mitgliedstaaten der
                  EU (4,7 Mio.). [2] Auch hier muss man fragen: Wo, Herr
                  Seehofer, ist da bitteschön das Problem? Vom politischen
                  Vermächtnis des Übervaters der CSU, Franz Josef Strauß:
                  "Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa
                  unsere Zukunft", ist offenbar bloß noch Bayern übriggeblieben.
                  Deutschland und Europa können notfalls geopfert werden. 
   "Niemand in der CSU hat Interesse, die Kanzlerin zu stürzen", zitiert Bild am Sonntag den heutigen CSU-Vorsitzenden. Ja, ja, es hat auch niemand die Absicht, eine Mauer zu errichten. Historische Analogien hin oder her: Die Konservativen versagen erneut bei der Bekämpfung der Rechten, durch eine - siehe oben - unnötige Hysterisierung machen sie sie stark. Angeblich, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, was aber erfahrungsgemäß ein Trugschluss ist. Bekommen die Wählerinnen und Wähler nämlich den Eindruck, die Lage sei tatsächlich so dramatisch, wie von der CSU dargestellt, wählen sie wahrscheinlich das fremdenfeindliche Original. Rechtspopulisten bekämpft man nicht mit Rechtspopulismus, sondern mit einer Politik, die die Interessen der Bevölkerungsmehrheit vertritt. Eine Politik für die unteren und mittleren Einkommensschichten. Aber wenn es beispielsweise um den Bau von bezahlbarem Wohnraum geht, stehen die Konservativen meist auf der Bremse. Der damalige CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer (seit März 2018 im Kabinett Merkel Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur) brachte es auf den Punkt: Die CSU sei die "Partei des Eigentums". Und zur Mietpreisexplosion erklärte er lakonisch: "In einer wirtschaftlich sehr prosperierenden Zeit ist es halt auch so, dass beispielsweise die Mieten ansteigen, die Wohnungssituation in den Ballungsräumen angespannt ist." [3] Na, dann ist ja die Wohnungsnot schon fast gelöst. (Achtung: Ironie!) Und mit diesem Mix aus sozialer Ignoranz und Hysterisierung der Zuwanderung glauben die Christsozialen, die AfD kleinhalten zu können? Das wird wohl kaum gelingen. ---------- [1]
                    BAMF, Aktuelle Zahlen zu Asyl
                    (04/2018), PDF-Datei mit 217 kb [2]
                    Statistisches Bundesamt, Ausländische
                    Bevölkerung, Fachserie 1 Reihe 2 - 2017, Excel-Datei mit 2,8
                    MB [3] Bayerischer Rundfunk vom 01.07.2017 |