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02. Juli 2018, von Michael Schöfer
Die bayerische Regionalpartei hat sich grandios verzockt


Was ist der Unterschied zwischen der Titanic und der CSU? Antwort: Die Titanic ist innerhalb von gut zweieinhalb Stunden gesunken, die CSU hingegen zelebriert ihren Untergang seit Wochen und Monaten. Und das offenbar sogar mit Genuss. Dachte man, der Koalitions-Showdown fände am gestrigen Sonntag seinen Höhepunkt, zögert ihn nun der aufgeschobene Rücktritt von Horst Seehofer weiter hinaus. Er wolle noch einen allerallerallerletzten Versuch machen, sich mit Angela Merkel zu einigen. Angeblich soll das Treffen heute um 17 Uhr die endgültige Entscheidung bringen. Der x-te Einigungsversuch mag vielleicht für Klarheit über das Schicksal Horst Seehofers sorgen, aber was die CSU anschließend macht, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU verlassen oder aufrechterhalten, ist immer noch völlig offen. Eines ist jedoch mittlerweile klar, die bayerische Regionalpartei hat sich grandios verzockt, sie hat sich am Eisberg der Bundeskanzlerin den Rumpf aufgerissen, die Christsozialen dümpeln mit ordentlicher Schlagseite in den Wogen der stürmischen See herum.

Würde man im Theater einer Tragödie von Shakespeare folgen, könnte man das Ganze amüsiert zur Kenntnis nehmen. Aber in der politischen Landschaft Deutschlands wird der selbstverschuldete Untergang der CSU wohl ähnliche Folgen zeitigen, wie weiland der Untergang der Titanic auf die Schifffahrt: Damals verlor der Nimbus der Unsinkbarkeit jegliche Überzeugungskraft, die Hybris der Schiffsbauingenieure kollidierte mit der Realität. Letztere erwies sich als stärker. Übersetzt auf die Bundespolitik heißt das: Das Diktum des CSU-Übervaters Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, verliert seine Gültigkeit. Die CSU hat die AfD mit ihrer unnötigen Hysterisierung stark gemacht und wird die Folgen bei der Landtagswahl im Herbst vermutlich drastisch zu spüren bekommen. Ursächlich für den Zusammenstoß der Titanic mit dem Eisberg waren bekanntlich krasse Fehleinschätzungen auf der Brücke des Luxusliners. Die Protagonisten auf der Brücke der CSU, Horst Seehofer, Markus Söder und Alexander Dobrindt, haben ebenfalls sämtliche Eiswarnungen ignoriert. Doch zum Umsteuern ist es jetzt zu spät.

Der Untergang der Titanic riss wenigstens bloß einen erklecklichen Teil der Passagiere mit in die Tiefe, der Untergang der CSU könnte unter Umständen das ganze Land in den Orkus schicken. Das, was die CSU tut, schadet nämlich der Demokratie. Wer Rechtspopulisten ständig bereitwillig den Ball auf den Elfmeterpunkt legt (Seehofer Anfang 2016: "Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts"), braucht sich über deren Torflut wirklich nicht zu wundern. Oder war der aufgeschobene Showdown der untaugliche Versuch, den 77-jährigen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland durch das Erzeugen eines Lachkrampfes aus dem Weg zu räumen? Dieser Versuch ist offenkundig gescheitert. Den Dilettantismus der CSU nimmt die gesamte Republik mit Fassungslosigkeit zur Kenntnis, außer den Anhängern der AfD freut sich darüber kein Mensch. Wäre die CSU konsequent, hätte sie längst beschlossen, der CDU den Laufpass zu geben und sich bundesweit auszudehnen. Doch dazu fehlt ihr der Mut. Nach außen hin gibt sie sich betont hartleibig, in ihr pocht das Herz eines Feiglings. Die Sprücheklopfer haben einfach nicht - Verzeihung - die Eier, ihren lauthals angekündigten Kurs auch in die Tat umzusetzen. Aber wer soll der CSU jetzt noch eine Einigung mit der Kanzlerin abkaufen? Das macht keiner mehr. Wir wussten es ja schon immer: In der bayerischen Regionalpartei haben viel zu viele Provinzpolitiker das Sagen. Und genau so benehmen sie sich.