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03. Juli 2018, von Michael Schöfer
Sie haben sich wieder lieb


Franz Josef Strauß und Helmut Kohl empfanden wohl nur Verachtung füreinander. Kohl sei "total unfähig" und werde niemals Kanzler, ätzte der damalige CSU-Vorsitzende. Auch die erste SPD-Troika (Herbert Wehner, Willy Brandt, Helmut Schmidt) war sich keineswegs wohlgesonnen. Wehner geringschätzig über Brandt: "Der Herr badet gerne lau." Zwischen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine kam es schon nach kurzer Regierungszeit zum endgültigen Bruch, auch Theo Waigel und Edmund Stoiber unterhielten eine sorgsam gepflegte Feindschaft. Die Behauptung, dass Erwin Huber in seiner aktiven Zeit Horst Seehofer gernhatte, ist eine schamlose Übertreibung. Seehofer wiederum wollte unbedingt Markus Söder verhindern, weshalb er es für nötig erachtete, zum Mittel der öffentlichen Demütigung zu greifen. Sahra Wagenknecht und Katja Kipping sind ebenso wenig ein Traumpaar wie ehedem Joschka Fischer und Jürgen Trittin. In der Politik gilt bekanntlich die Steigerung: Feind, Todfeind, Parteifreund. Das jüngste Beispiel sind Horst Seehofer, der übrigens besonders viele "Parteifreunde" zu haben scheint, und Angela Merkel. Das Ideal: Elf Freunde müsst ihr sein. Angela Merkel erstaunt: "Was? So viele?" Wer Parteifreunde hat, braucht bekanntlich keine Feinde. Freundschaften sind in der Politik die Ausnahme.

Bei Versöhnungstreffen und auf Friedensgipfeln wird dennoch mit großer Selbstverleugnung Einigkeit demonstriert: "Wenn wir die Wahl gewinnen wollen, dann nur mit ihr als Kandidatin." Wer hat's gesagt? Horst Seehofer über Angela Merkel im Juli 2015. [1] "Wir haben großes Interesse an einer starken Kanzlerin. Angela Merkel repräsentiert Deutschland nicht nur erstklassig, sondern führt auch auf internationaler Ebene." Wer hat's gesagt? Horst Seehofer Ende Januar 2017. [2] "Wir sind geschlossen wie schon lange nicht mehr." Wer hat's gesagt? Horst Seehofer im Dezember 2017 über das Verhältnis zwischen CDU und CSU. [3] Und nun, nach dem Showdown wegen Seehofers "Masterplan Migration" haben sie sich nicht zum ersten Mal wieder furchtbar lieb. Seehofer erklärte sogar den Rücktritt vom Rücktritt, er will weiterhin neben Merkel auf der Regierungsbank sitzen.

Überhaupt Seehofer: "Das ist jetzt gerade ein überschaubarer Zuwandererstrom." Mit diesen Worten beschreibt er Mitte 2016 den Stand der Flüchtlingskrise und sieht keinen Anlass zur Dramatisierung. [4] Heute, zwei Jahre später, ist der Zuwandererstrom wesentlich kleiner, trotzdem riskiert der CSU-Chef in einer nervenaufreibenden Zerreißprobe die Spaltung der Union. Selbst grundsätzlich wohlgesonnene Menschen schütteln angesichts dessen nur noch ungläubig den Kopf. Welch kurioses Schauspiel. Das ist mehr, als die angewiderte Öffentlichkeit zu schlucken vermag. Ob Elefanten bewusst ist, wie viel Schaden sie im Porzellanladen verursachen? Wenn Strauß und Kohl Verachtung füreinander empfanden, was denken jetzt wohl die Bürger über ihre Politiker? Die nächsten Umfragen werden es zeigen. Und ich fürchte, sie zeigen nichts Gutes. Zumindest nicht für die etablierten Parteien.

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[1] Hamburger Abendblatt vom 18.07.2015
[2] Bild am Sonntag vom 28.01.2017
[3] Handelsblatt vom 15.12.2017
[4] Spiegel-Online vom 25.06.2016