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| Impressum 05. Juli 2018, von Michael Schöfer Die "Achse der Willigen" ist offenbar bereits gescheitert Jetzt wird hoffentlich auch dem letzten klar, dass Europa unweigerlich auseinanderfällt, wenn in jedem Land der nationale Egoismus triumphiert. Beispiel: Am 20. Juni besuchte der deutsche Nebenaußenminister, Verzeihung, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Linz. Thema war, wie könnte es anders sein, die Flüchtlingspolitik. Kurz brachte bei dem Treffen seine Hoffnung zum Ausdruck, die deutsche Bundesregierung möge sich auf eine gemeinsame Linie in der Asyldebatte einigen. Zuvor hatte Kurz in puncto Flüchtlingspolitik sogar von einer aus seiner Sicht wünschenswerten "Achse der Willigen" (Rom - Wien - Berlin) gesprochen. [1] War die Anspielung auf die faschistischen Achsenmächte des Zweiten Weltkriegs (Berlin - Rom) ein Zufall? Anfang der Woche haben sich zumindest die Unionsparteien tatsächlich auf die von Kurz befürwortete "gemeinsame Linie" geeinigt. Sie fällt allerdings anders aus, als vom österreichischen Kanzler erhofft. Horst Seehofer (CSU) will bekanntlich Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze zurückweisen und soll dafür Rückführungsabkommen aushandeln. "Wir werden ganz sicher keine Lösung akzeptieren, die zu Lasten Österreichs geht", bekräftigt dagegen der österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). [2] Kurz hatte sich vorher genauso geäußert und obendrein gedroht: Wenn Deutschland Flüchtlinge zurückweist, wird Österreich die italienisch-österreichische Grenze stärker kontrollieren. Der italienische Innenminister Matteo Salvini (Lega Nord) drohte daraufhin seinerseits in Richtung Wien: "Sie wollen den Brenner schließen? Dann schließen wir ebenfalls die Grenze." [3] Die "Achse der Willigen" scheint somit bereits vor ihrem Zustandekommen an den nationalen Egoismen zu zerschellen. Italien will bekanntlich überhaupt keine Flüchtlinge zurücknehmen, stattdessen würde es liebend gerne welche abgeben. Das zeigt: Der nationale Weg ist ein Irrweg. Er wird nicht nur Europa auseinandertreiben, sondern auch zu unhaltbaren Zuständen führen, die am Ende unsere Grundwerte gefährden. Offene Binnengrenzen? Kann man sich abschminken! Das Flüchtlingsproblem ist daher nur europäisch zu lösen - gemeinsam, gerecht, solidarisch. Der Vorgang lässt auch ahnen, wohin uns der Nationalismus führen könnte. Die europäische Einigung hat uns eine seit 1945 anhaltende Periode des Friedens beschert. Doch wenn jeder nur noch sich selbst der Nächste ist, werden wir vielleicht irgendwann wieder Kriege untereinander ausfechten. Nicht bloß verbale, wohlgemerkt. Etwas, das der jungen Generation heute völlig unmöglich erscheint. Haben wir denn gar nichts aus der schlimmen Vergangenheit gelernt? ----------
[1]
Die Zeit-Online vom 13.06.2018
[2]
tagesschau.de vom 05.07.2018
[3] Die Zeit-Online vom 04.07.2018
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