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| Impressum 08. Juli 2018, von Michael Schöfer Die totale Verantwortungslosigkeit Phrasen, nichts als Phrasen: Als die Unionsparteien begannen, sich wegen der Flüchtlingspolitik in den Haaren zu liegen, inszenierten sie anschließend jedes Mal aufs Neue ihre Versöhnung. "Darauf kommt es nun an: versöhnen, nach vorn schauen. Auch mit der CSU", gab Angela Merkel Ende 2015 auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe die Marschrichtung vor. [1] "Den Flüchtlingsstreit haben beide Seiten bis auf Weiteres abgehakt, den Blick nach vorn gerichtet", hieß es Mitte 2016 auch auf der gemeinsamen Klausurtagung von CDU und CSU in Potsdam. [2] "Der Blick soll nicht zurückgehen, lieber nach vorn", war der Leitspruch des CSU-Parteitags Ende 2017. [3] Und nun wie gehabt das gleiche Procedere: Erst einen furchtbaren Krawall von Zaun brechen - um sich anschließend wieder in die Arme zu fallen. "CSU-Chef Horst Seehofer hält den Konflikt mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Asylpolitik für erledigt. 'Wir schauen nach vorne'", will er dem geneigten Publikum weismachen. [4] Ja, wie oft denn noch? Und wer wird das glauben? Kein Mensch! Zu Recht, denn just zwei Tage zuvor drohte er, die Sache beginne von vorne, sofern es keine bilateralen Vereinbarungen mit anderen Ländern gibt. [5] Da ist offenbar überhaupt nichts erledigt, seine Aussagen haben nämlich ein extrem kurzes Verfalldatum. Motto: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern." Horst Seehofer scheint den Bezug zur Realität verloren zu haben: "In meinem politischen Leben war Geradlinigkeit immer wichtiger als ein Amt." [6] Wobei der frühere CSU-Vorsitzende Erwin Huber die Sache ganz anders bewertete: Die CSU müsse erst wieder zu Geradlinigkeit und Verlässlichkeit zurückkehren. Diese Forderung erhob er wohlgemerkt schon 2014, lange vor dem aktuellen Zwist der Schwesterparteien über die Flüchtlingspolitik. [7] Die Krise der CSU schwelt also schon geraume Zeit. Es kam, wie man heute weiß, noch viel schlimmer. Die Konsequenz: Eine ordentliche Schlappe bei der Bundestagswahl. Und im Herbst droht die CSU ihre absolute Mehrheit in Bayern zu verlieren. Der Rücktritt von Seehofer sei unausweichlich, sagt Erwin Huber heute. In der Tat: Geradlinigkeit bei Horst Seehofer bedeutet, dass er so lange an seinem Sessel klebt, bis es gar nicht mehr anders geht. Und er manövriert sich dabei gerne in selbstfabrizierte Sackgassen. Das unwürdige Gezerre um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten und seine Niederlage gegen Markus Söder ist hierfür das beste Beispiel. Erst sät er öffentlich Zweifel am Charakter seines Widersachers, doch nach dem verlorenen Machtkampf lobt er ihn plötzlich über den grünen Klee: "Söder habe immer 'eine vorzügliche, bravuröse, fehlerfreie Arbeit abgeliefert für unseren Freistaat. (...) Er kann es und er packt es. Das ist Markus Söder.'" [8] Angesichts der Vorgeschichte ist der Begriff "Heuchelei" eine krasse Untertreibung. "Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten", soll Seehofer unbestätigten Berichten zufolge vor kurzem in kleiner Runde über Merkel gesagt haben. Vermutlich eine gezielte Indiskretion, denn öffentlich behauptet Seehofer etwas anderes: Natürlich könne er mit Angela Merkel weiterhin vertrauensvoll zusammenarbeiten. [9] Geradlinigkeit? Pustekuchen! Der Mann ist die Flatterhaftigkeit in Person und hat bei seinen Machtspielchen längst die eigene Glaubwürdigkeit zu Grabe getragen. Was hat er damit erreicht? In einer brandneuen Emnid-Umfrage gewinnt die AfD drei Prozentpunkte, sie liegt nun gleichauf mit der SPD bei 17 Prozent, während die Union um zwei Prozentpunkte auf 30 Prozent absackt. [10] Wie sich sein, gemessen an den Ergebnissen, letztlich völlig nutzloser Furor auf die bayerische Landtagswahl auswirkt, werden wir spätestens am 14. Oktober sehen. Dieser Harakiri-Kurs ist der komplette Wahnsinn, denn er nützt bloß den Feinden der Demokratie. Bedauerlicherweise kann man dabei nur zusehen und hoffen, dass sich am Ende doch die Vernunft der Wählerinnen und Wähler durchsetzt. ----------
[1]
Südwest Presse vom 14.12.2015
[2]
SVZ.de vom 26.06.2016
[3]
tagesschau.de vom 15.12.2017
[4]
tagesschau.de vom 08.07.2018
[5]
tagesschau.de vom 06.07.2018
[6]
tagesschau.de vom 08.07.2018
[7]
Süddeutsche vom 01.06.2014
[8]
FAZ.Net vom 16.12.2017
[9]
Süddeutsche vom 08.07.2018
[10] Süddeutsche vom 08.07.2018
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