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21. Juli 2018, von Michael Schöfer
Muss man den Feinden der Demokratie auch noch helfen?


Die liberale Demokratie wird derzeit von vielen Feinden bedrängt - von innen durch die Wahlerfolge rechter Parteien und Populisten: AfD in Deutschland, FPÖ in Österreich, PiS in Polen, RN (ehedem Front National) in Frankreich, Fidesz in Ungarn, Donald Trump in den USA, Recep Tayyip Erdogan in der Türkei. Und von außen durch Autokraten wie Wladimir Putin oder Xi Jinping. Das Hauptproblem ist, dass die Feinde der Demokratie für ihr Verhalten selten einen Preis zahlen müssen.

Unsere "Ach, ich weiß nicht so recht"-Politiker versagen auf zwei Feldern:

Erstens sind sie außerstande, Probleme wie etwa die wachsende ökonomische Ungleichheit oder den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu lösen. Absichtserklärungen gibt es zwar zuhauf, dennoch bleiben die Probleme ungelöst. Richtig kreativ sind die Politiker nur in der Erfindung von Euphemismen. Es entsteht der keineswegs unberechtigte Eindruck: "Ihr kriegt ja nichts auf die Reihe." Doch mit Placebo-Politik ist keinem gedient, am wenigsten der Demokratie.

Zweitens halten unsere Politiker Appeasement trotz etlicher Negativbeispiele noch immer für einen Ausdruck höchster Staatskunst. Bleiben wir einmal bei Erdogan und der Türkei. Im Juli 2017 hatte der damalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel endlich die Nase gestrichen voll, nach der x-ten Beleidigung seitens des türkischen Präsidenten und der wiederholten Verhaftung deutscher Staatsbürger verschärfte er die Reisewarnungen für Reisen in die Türkei. Angela Merkel behauptete, die Bundesregierung habe ihre Türkeipolitik massiv geändert. So würden beispielsweise die Hermes-Bürgschaften (Exportkreditversicherungen) überdacht, hieß es.

In der Türkei hat sich seitdem überhaupt nichts zum Positiven verändert. Im Gegenteil, Erdogan hat seine Machtposition inzwischen sogar noch ausgebaut. Oppositionelle, Staatsbedienstete (Militärs, Richter, Polizisten, Lehrer etc.) und Journalisten werden weiterhin entlassen oder inhaftiert. Erst kürzlich hat Erdogan 18.000 Staatsbedienstete von heute auf morgen auf die Straße gesetzt. Begründung: Wie üblich Terrorverdacht. Zudem sind in der Türkei das Versammlungsrecht und die Pressefreiheit nach wie vor eingeschränkt. Und was macht die Bundesregierung? Das Auswärtige Amt hat die Reisehinweise wieder entschärft, auch die Deckelung der Hermes-Bürgschaften soll künftig entfallen. Ohnehin sind Letztere im vergangenen Jahr trotz der vollmundigen Ankündigung um ein Drittel gestiegen anstatt gesunken. "Links blinken, rechts abbiegen", lautet offenbar die Devise.

Das Signal ist eindeutig: "Mach ruhig weiter so, lieber Erdogan." Hinzu kommt, dass die Deutschen in der Türkei wieder vermehrt Urlaub machen. Besser kann es für den Autokrat also gar nicht laufen. Dabei könnte man das Land gerade auf dem Gebiet der Wirtschaft unter Druck setzen. Die Inflationsrate beträgt dort momentan 15,39 Prozent (Stand Juni 2018). Tendenz steigend. Die türkische Lira verliert seit Monaten stark an Wert. Tendenz weiter fallend. Die Exporte steigen nur noch minimal, die Importe dagegen beträchtlich, folglich wächst das Defizit in der Handelsbilanz ebenso wie das Defizit in der Leistungsbilanz. Die Auslandsverschuldung hat zuletzt stark zugenommen. Gleichwohl meldet die Türkei stolze Wachstumszahlen (7,4 % im 1. Quartal 2018), 2017 soll die türkische Wirtschaft sogar stärker gewachsen sein als die chinesische. Inzwischen wachsen die Zweifel an den offiziell gemeldeten Zahlen. Wird da buchstäblich "getürkt"? Wie dem auch sei, die unentschlossene Haltung der Bundesregierung ("man könnte ja mal", "ach, lieber doch nicht") ist jedenfalls wenig hilfreich.

Wie sieht es angesichts dessen mit der vielbeschworenen wehrhaften Demokratie aus? Autokraten und jene, die die Demokratie von innen aushöhlen, brauchen eine klare Ansage: "So nicht!" Da ist Appeasement und das Übernehmen rechtspopulistischer Positionen (wie aktuell durch die CSU) genau die falsche Reaktion. Wer in Sonntagsreden ständig von Wehrhaftigkeit redet, sie aber im täglichen Handeln vermissen lässt, hilft bloß den Feinden der Demokratie. Und wenn nebenbei auch noch ein paar der drängendsten Probleme gelöst würden, könnte man schon zuversichtlicher in die Zukunft blicken.