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19. August 2018, von Michael Schöfer
Ein Besuch im Affenhaus ist aufschlussreich


Sommer, Sonne, Urlaub. Und keine Lust zum Schreiben. Okay, fast keine, denn andernfalls würden Sie das hier gar nicht lesen. Habe nach längerer Zeit endlich wieder einmal einen Ausflug zur Stuttgarter Wilhelma gemacht. Trotz Hitze. Vorteil: Man kann interessante Tiere aus der Nähe begutachten, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Zum Beispiel eine wunderschöne Tigerin, die in ihrem Freigehege, nun ja, umhertigerte. Nachteil: Die Gitter erinnern einen naturgemäß an Gefängnisse, was - im Vergleich zur freien Wildbahn - sicherlich auch für die Tiere schmerzlich ist. Eingesperrt zu sein. Dennoch erscheint es ratsam, der Tigerin nicht ohne Schutzgitter zu begegnen. Was gab es noch? Ziemlich viel Homo sapiens. Und der lief sogar frei herum. Ganz ohne Gitter und außerhalb des Freigeheges. Ein Wunder, dass trotzdem keiner zerfleischt wurde. Eingeweihte wissen, wie aggressiv die selbsternannte Krone der Schöpfung sein kann. Ist offenbar eine recht fruchtbare Spezies, denn die Wilhelma mutete an wie ein Kindergarten. Ich weiß, Ferienzeit ist Familienzeit.

Wäre die Evolutionstheorie mittlerweile nicht Allgemeingut geworden, hätte uns, vielleicht mit Ausnahme von ein paar Verblendeten der religiösen Rechten in den USA, spätestens der Besuch im Affenhaus die Augen geöffnet. Der Homo sapiens ist zweifelsohne mit den Affen verwandt. Bei den Gorillas, der genetische Unterschied zum Mensch beträgt lediglich 1,6 Prozent, gibt es einen unumstrittenen Chef. Den nennt man unter Gorillas gemeinhin Silberrücken. Beim Homo sapiens hören sie auf Namen wie Trump, Erdogan oder Xi Jinping. Und Chefs dulden bekanntlich keine Kritik und keinen Widerspruch. Weder die Silberrücken noch die Herren Despoten. Was sie notfalls auch mit Gewalt, einer unterwürfigen Justiz oder per Twitter durchzusetzen wissen. Der Silberrücken hat es vergleichsweise leicht, der haut im Bedarfsfall einfach drauf. Und von dem möchte wirklich niemand eine gescheppert bekommen. Bei Erdogan und Xi Jinping landen Widerspenstige (Verzeihung: Terroristen!) im Gefängnis oder im Umerziehungslager. Von Trump werden Kritiker gerne als "Volksfeinde" tituliert, die Reporter der altehrwürdigen Washington Post beispielsweise. In feuchten Nächten träumt "the Donald" bestimmt von den Möglichkeiten anderer Despoten. Wobei ihm, zumindest vorläufig noch, die Verfassung der Vereinigten Staaten im Wege steht. Außerdem das Urheberrecht, denn das steht hinsichtlich einer angeblich "staats- und volksfeindlichen Presse" unbestritten dem Reichspressechef der NSDAP zu, einem gewissen Otto Dietrich (1949 in Nürnberg als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft verurteilt).

Was wären Alphatiere ohne ihre Hofschranzen und Claqueure? Sie müssten sich als Dilettanten outen. Ein Alphatier der AfD hat das vor kurzem grandios vorexerziert: "Man kann keine Lösungsvorschläge bringen..." (zum Klimawandel), "nein, das kann ich Ihnen nicht erklären…", "da kann ich Ihnen im Moment keine Antwort darauf geben" und "ich wüsste auch im Moment keine" (zur Digitalisierungsstrategie), "eine Regulierungsmöglichkeit haben wir auch nicht gefunden" (zum Druck von Airbnb auf den Mietwohnungsmarkt) sowie "wir haben noch kein abgestimmtes Konzept" (zur Rente). [1] Besser kann man seine Inkompetenz nicht demonstrieren. Bei Erdogan heißt das: "Die USA haben ihren Dollar, wir haben Allah." Womit die türkische Wirtschaftspolitik in einem einzigen Satz klar umrissen ist. (Achtung: Ironie!) Wie kommen die damit durch? Warum werden die trotz offenkundiger Unfähigkeit gewählt? Das kann nur am Primaten-Erbe des Menschen liegen, den äffischen Emotionen, die besonders in der Masse leicht die Oberhand gewinnen. Dabei unterscheidet ihn doch eigentlich gerade der Verstand vom Tier, nur setzt der Homo sapiens den viel zu wenig ein. Jedenfalls in der Politik.

Ich finde, man sollte öfter einen Besuch im Affenhaus machen, denn dort sind die Parallelen zur menschlichen Gesellschaft kaum zu übersehen. Und welche Konsequenzen es hat, wenn man Alphatieren blindlings folgt: Man landet nicht selten hinter Gittern.

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[1] ZDF, Sommerinterview mit Alexander Gauland vom 12.08.2018