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23. August 2018, von Michael Schöfer
Die Behörden haben die Verfassung zu schützen


"Die Freiheit der Medien ist konstituierend [grundlegend, wesentlich, elementar] für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Eine freie Presse und ein freier Rundfunk sind daher von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat." Wer sagt das? Das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel, das höchste deutsche Gericht und die weithin geachteten Hüter der Verfassung. [1] Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) macht nicht den Eindruck, als habe er das wirklich begriffen (O-Ton Kretschmer: "Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten").

Leider hinterlässt auch die sächsische Polizei nicht den Eindruck, als würde sie die Rechte von Journalisten kennen und schützen. Im Gegenteil, der Pegida-Demonstrant, der zunächst in Richtung des ZDF-Kamerateams "Lügenpresse" skandiert und anschließend mit dem Vorwurf "Sie begehen eine Straftat" die Berichterstattung unterbinden will, entpuppt sich im Nachhinein als Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamts. Auf Nachfrage des ZDF-Teams können die Polizisten bei der zweiten (!) Überprüfung der Presseausweise noch nicht einmal eine Rechtsgrundlage für ihr Eingreifen nennen. "Was ist der Verdacht?", fragt der Journalist. Antwort des kontrollierenden Beamten: Betretenes Schweigen und deutlich sichtbare Verlegenheit. [2] Das ist peinlich, unprofessionell und riecht förmlich nach Schikane. Daran, dass das sächsische Polizeigesetz das Vorgehen in dieser Form zulässt, darf gezweifelt werden. Erst danach wird von einem weiteren Pegida-Demonstranten eine Strafanzeige wegen angeblicher Beleidigung gestellt.

Nun ist die Aufnahme der Personalien nach einer Anzeigeerstattung vollkommen normal. Polizeilicher Standard eben. Aber braucht man dazu wirklich mehr als 45 Minuten? Und das bei Journalisten, die sich gleich beim ersten Mal ordnungsgemäß als solche ausweisen können? Welche Straftat wurde vom Mann mit dem Deutschlandhut (der LKA-Mitarbeiter) überhaupt angezeigt? "Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden: Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben", sagt § 23 des Kunsturhebergesetzes. Das müssten sächsische Polizisten und Mitarbeiter des Landeskriminalamts eigentlich wissen. Der Mann mit dem Deutschlandhut ist obendrein an seiner Großbildaufnahme selbst schuld, schließlich ist er aus der Menge heraus auf die Kamera zugegangen. Mit anderen Worten: Die vermeintliche Verletzung des Rechts am eigenen Bild ist gar keine. War sein Verhalten womöglich polizeiintern abgesprochen? Dann wäre das Ganze sogar eine vorsätzliche Behinderung der Presseberichterstattung durch die sächsische Landespolizei, mithin ein handfester politischer Skandal, der zwangsläufig zum Rücktritt des Innenministers respektive des vorschnell urteilenden Ministerpräsidenten führen müsste.

Der Mitarbeiter des LKA sei ein Tarifbeschäftigter, der zum Zeitpunkt des Geschehens im Urlaub gewesen sei und als Privatperson an der Pegida-Versammlung teilgenommen habe, beteuert das sächsische Innenministerium. Ob diese Aussage tatsächlich stimmt, wird sich hoffentlich bald herausstellen. Zwar gilt die Meinungsfreiheit selbstverständlich auch für die Mitarbeiter des LKA, sie unterliegen aber darüber hinaus einer politischen Treuepflicht. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 des Tarifvertrags der für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) sind sie nämlich verpflichtet, "sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes [zu] bekennen".

Der Haufe-Verlag präzisiert in einer Kommentierung, was darunter zu verstehen ist: "Die politische Treuepflicht gebietet Loyalität gegenüber dem Staat und seiner geltenden Verfassungsordnung. Sie ist, auch soweit sie im Wege einer Verfassungsänderung veränderbar ist, zu bejahen und dies nicht bloß verbal, sondern insbesondere in der beruflichen Tätigkeit dadurch, dass der Beschäftigte die bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften beachtet und erfüllt und sein Amt aus dem Geist dieser Vorschriften heraus führt. Die politische Treuepflicht - Staats- und Verfassungstreue - fordert mehr als nur eine formal konkrete, im Übrigen uninteressierte, kühle, distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung; sie fordert vom Beschäftigten, dass er sich von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung aktiv angreifen, bekämpfen und diffamieren und insbesondere, dass er seinerseits nicht den Staat, in dessen Dienst er steht, und seine Verfassungsordnung angreift." [3]

Die Treue zur Verfassung ist bei der Beteiligung an einer Pegida-Veranstaltung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) zumindest anzuzweifeln, immerhin wurden beispielsweise im Dezember 2015 auf einer Pegida-Kundgebung in der sächsischen Landeshauptstadt die Bundeskanzlerin und der damalige Außenminister symbolisch an den Galgen gehängt. Von anderen dort regelmäßig vorkommenden Verbalinjurien (Politiker werden etwa als "Volksverräter" bezeichnet) ganz zu schweigen. Die Identität der Galgen-Träger festzustellen kam der sächsischen Polizei damals übrigens nicht in den Sinn. Ob der LKA-Mitarbeiter noch beim Landeskriminalamt arbeiten würde, hätte er sich in der Vergangenheit aktiv an Antifa-Demos beteiligt? Die sächsischen Behörden sollen auf dem linken Auge besonders scharfsichtig sein und bei Verfehlungen kompromisslos reagieren. Wohlgemerkt, auf dem linken Auge. Dass der LKA-Mitarbeiter die Pressefreiheit angreift, die für den freiheitlichen Staat laut Bundesverfassungsgericht von besonderer Bedeutung ist, darf man keinesfalls bagatellisieren.

Die Behörden haben die Verfassung zu schützen und nicht Pegida-Demonstranten vor der zulässigen Berichterstattung durch die Presse zu bewahren - selbst wenn diese bei der Polizei arbeiten. Das Grundgesetz gilt bekanntlich auch in Sachsen. Es ist bezeichnend, dass man das mit Blick auf den Freistaat immer wieder ausdrücklich betonen muss.

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[1] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 27. Februar 2007, 1 BvR 538/06, 1 BvR 2045/06
[2] ZDFheute vom 22.08.2018
[3] Haufe TV-L Office, Allgemeine Pflichten / 3 Politische Treuepflicht, Hervorhebung durch den Autor