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31. August 2018, von Michael Schöfer
Elektroautos: Ist das Henne-Ei-Problem gelöst?


Dachte man bislang, die Elektromobilität würde sich nicht durchsetzen, weil es zu wenig Lademöglichkeiten gibt, belehrt uns nun die Süddeutsche eines Besseren: "Was fehlt, sind die E-Autos, nicht die Ladestationen", titelte sie im gestrigen Wirtschaftsteil. "In Deutschland gibt es mittlerweile 13.500 öffentliche Ladestationen für E-Autos - das macht etwa zehn Autos pro Station. Von einem Engpass kann also keine Rede sein, auch wenn die Autohersteller das stets betonen." [1] Im Vergleich zu anderen Bundesländern sei die Versorgung in Baden-Württemberg mit am besten. Hamburg liege mit 43,4 öffentlich zugänglichen Ladepunkten pro 100.000 Einwohner an der Spitze, gefolgt von Bayern (21,0), Berlin (20,8) und Baden-Württemberg (20,1). Die Angaben beruhen auf den Daten des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Ist das Henne-Ei-Problem gelöst? Werden Elektroautos von den Käufern zu Unrecht verschmäht?

Im Mai diesen Jahres habe ich beklagt, dass Heddesheim, eine Gemeinde von knapp 12.000 Einwohnern in der Nähe von Mannheim, Presseberichten zufolge die erste öffentliche Elektrotankstelle mit einer einzigen Ladesäule bekommen hat. Wirklich, die allererste! [2] Zur Erläuterung: Eine Ladestation ist eine Elektrotankstelle, an der ein oder mehrere Ladepunkte/Ladesäulen vorhanden sind. An einem Ladepunkt/einer Ladesäule, gewissermaßen die Zapfsäule für Elektrofahrzeuge, kann zur gleichen Zeit nur ein Fahrzeug aufgeladen werden. Dem damals gewonnen Eindruck, es gebe zu wenig Lademöglichkeiten, widerspricht jedoch der o.g. Artikel der SZ. Ob die Angaben des BDEW tatsächlich so positiv sind, wie sie in der Zeitung klingen, kann jeder selbst überprüfen, der BDEW betreibt nämlich die Website "Ladesäulenregister.de".

In Mannheim, mit knapp 308.000 Einwohnern immerhin die drittgrößte Stadt in Baden-Württemberg, gibt es dem Ladesäulenregister des BDEW zufolge im Umkreis von 10 km lediglich 28 öffentlich zugängliche Ladepunkte an 15 Ladestationen. Da sind aber die Ladepunkte im benachbarten Ludwigshafen (166.000 Einw.), Frankenthal (48.000 Einw.) und Mutterstadt (12.800 Einw.) bereits mitgezählt (Umkreis 0 km kann man beim BDEW nicht auswählen). Innerhalb von Mannheim sind es laut Online-Landkarte jämmerliche 6 Ladepunkte an 4 Ladestationen, also mickrige 2 Ladepunkte pro 100.000 Einwohner und rechnerisch 29,7 Elektroautos pro Ladepunkt. Für mich ein klarer Beleg dafür, dass es viel zu wenig Lademöglichkeiten gibt.

In der Stadt sind 149.700 Pkw zugelassen (Stand: 01.01.2018), davon sind ganze 178 reine Elektrofahrzeuge (0,12 % des gesamten Pkw-Bestands). [3] Dass es überhaupt so viele sind, dürfte Unternehmen zu verdanken sein, die ihren Fuhrpark um ein paar Elektroautos bereichert haben und auf dem Firmengelände über eigene Ladepunkte verfügen. Die Ladezeit an einer öffentlichen Ladesäule beträgt 2 bis 4 Stunden, an einer öffentlichen Schnell-Ladesäule 30 bis 60 Minuten. Gingen Elektroautos, die bekanntlich eine geringere Reichweite haben und entsprechend oft aufgeladen werden müssen, weg wie warme Semmeln, gäbe es vor den Ladestationen kilometerlange Staus. Und fürs Aufladen (incl. Wartezeit) müssten die Besitzer jedes Mal Urlaub nehmen. Von daher wundert mich der unzureichende Absatz von Elektrofahrzeugen kaum. Warum die Süddeutsche in ihrem Artikel trotzdem zu einem anderen Ergebnis kommt, ist nicht nachvollziehbar.

Sieht man sich die regionale Verteilung genauer an, fällt zumindest auf, dass in Stuttgart (633.000 Einw.) 1.193 reine Elektrofahrzeuge zugelassen sind. Die baden-württembergische Landeshauptstadt hat im Vergleich zu Mannheim mehr als doppelt so viele Einwohner, dort fahren aber fast siebenmal so viele Elektrofahrzeuge herum. Liegt es am höheren Durchschnittseinkommen der Erwerbstätigen, den größeren Fuhrparks der dortigen Unternehmen oder an den 382 öffentlich zugänglichen Ladepunkten (beachtliche 60 Ladepunkte pro 100.000 Einwohner und 3,1 Elektroautos pro Ladepunkt)? Schwer zu sagen, jedenfalls werden Elektroautos in Stuttgart besser angenommen, obgleich sie zugegebenermaßen selbst dort kein Verkaufsschlager sind (bloß 0,4 % des gesamten Pkw-Bestands). Wer zu Hause keine Lademöglichkeit hat, und das sind wohl die meisten, den schreckt schon allein die Vorstellung ab, mit seinem Auto mindestens 30 Minuten (im ungünstigsten Fall 4 Std.) an der Ladestation stehen zu müssen. Von der Angst, bei längeren Fahrten unterwegs mangels Auflademöglichkeit irgendwo liegenzubleiben, ganz zu schweigen. Hinzu kommt der - trotz Förderung - wesentlich höhere Kaufpreis.

Elektroautos haben im Vergleich zu Pkw, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, noch zu viele Nachteile. Momentan sind sie hauptsächlich etwas für Unternehmen und Enthusiasten. Theoretisch, sofern mit Solar- oder Windenergie aufgeladen, besitzen sie deutliche Vorteile für die Umwelt und sind zudem wesentlich leiser. Aber in der Praxis überwiegen die Minuspunkte, die den Normalbürger vom Kauf abhalten. Die unzureichende Ausstattung mit Ladestationen ist einer davon.

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[1] Süddeutsche vom 30.08.2018
[3] Kraftfahrtbundesamt, Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Zulassungsbezirken 1. Januar 2018, Excel-Datei mit 323 kb