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15. September 2018, von Michael Schöfer
Der Demokratie droht der Untergang


Glauben diese vermeintlichen Wohltäter der Menschheit eigentlich selbst, dass sie etwas Gutes tun? Oder sind sie in Wahrheit menschenverachtende Zyniker, die sich bloß auf die billige Tour ein positives Image zulegen wollen, um ihre in Wahrheit asoziale Gesinnung dahinter zu verbergen? Vermutlich letzteres. Amazon-Gründer Jeff Bezos ist inzwischen zum reichsten Mann der Erde aufgestiegen, sein Privatvermögen wird aktuell auf über 160 Mrd. US-Dollar geschätzt. Der Aktienkurs von Amazon ist allein in den letzten 12 Monaten um 98,6 Prozent gestiegen, in den vergangenen fünf Jahren war es sogar ein Plus von sagenhaften 565,47 Prozent. [1] Die Marktkapitalisierung, der Gesamtwert des Unternehmens, beträgt zur Zeit 959,33 Mrd. US-Dollar - also fast eine Billion.

Jeff Bezos könnte der glücklichste Mensch der Welt sein, gleichwohl scheint er es für notwendig zu erachten, an seinem Image zu feilen. Deshalb präsentiert sich Bezos der Welt als großherziger Wohltäter und spendet zwei Mrd. US-Dollar an einen von ihm selbst gegründeten Fonds, der Kindergärten aufbauen und die Obdachlosigkeit bekämpfen soll. [2] Angesichts der Summe kann der Normalverdiener bloß staunen. Allerdings sollte man bei Wohltätern, Gönnern, Mäzenen, Stiftern, Philanthropen etc. generell vorsichtig sein, denn hinter der glänzenden Fassade verstecken sie nur allzu oft ihre hässliche Fratze.

Wir erinnern uns: Geht es nach dem Willen der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager muss Amazon an Luxemburg eine Steuernachzahlung in Höhe von 250 Mio. Euro überweisen. "Amazon habe über einen Zeitraum von acht Jahren nur ein Viertel der Steuern gezahlt, die lokale Unternehmen entrichten mussten", behauptete Vestager. Und solche Steuervergünstigungen seien in der Europäischen Union verboten. [3] "Amazon habe in den Jahren zwischen 2006 und 2014 auf drei Viertel seines Gewinns in Europa keine Steuern bezahlt", fügte sie hinzu. [4] Die Sache ist aber juristisch noch nicht entschieden.

Ein Unternehmer, der mit seinen Steuersparmodellen dem Staat gegenüber knausert, kann sich natürlich umso mehr als nobler Spender in Szene setzen. Je größer der Kontrast, hier der arme Staat, dort der reiche Gönner, desto höher das eigene Renommee. Beispiel Seattle im US-Bundesstaat Washington: In der Stadt befindet sich der Hauptsitz von Amazon. Wie andernorts explodieren auch dort die Kauf- bzw. Mietpreise von Häusern und Wohnungen, häufig können es sich Normalverdiener nicht mehr leisten, in ihrer eigenen Stadt zu wohnen. Von den ärmeren Einwohnern ganz zu schweigen. Seattle ist eine Stadt, in der die Anzahl der Obdachlosen besonders hoch ist (die dritthöchste in den USA), Anfang Januar lebten dort etwa 12.500 Menschen auf der Straße oder in Notunterkünften. [5] Die Stadt beschloss, etwas dagegen zu tun. Um das Problem zu beheben sind der Unternehmensberatung McKinsey zufolge 400 Mio. US-Dollar nötig, der Stadtrat führte daher eine Steuer zum Bau von bezahlbarem Wohnraum ein. Großkonzerne wie Amazon sollten jährlich 275 US-Dollar pro Vollzeitangestellten zahlen, was das Unternehmen pro Jahr 11 Mio. US-Dollar gekostet, der Stadt jedoch Einnahmen in Höhe von insgesamt rund 48 Mio. US-Dollar beschert hätte.

Bezos, der diese 11 Millionen leicht aus der Portokasse hätte bezahlen könnte, ging allerdings auf die Barrikaden: Amazon stoppte ein geplantes Bauprojekt am Stadtrand von Seattle, in dem zusätzliche 7.000 Mitarbeiter untergekommen wären. Außerdem soll der Konzern der Stadt mit Abwanderung gedroht haben. Es kam, wie es angesichts des Drucks kommen musste: Der Stadtrat nahm die "Amazon-Steuer", von der lediglich 585 Arbeitgeber (3 % der ansässigen Unternehmen) betroffen gewesen wären, reumütig zurück. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Der reichste Mann der Welt verhindert, dass Seattle etwas gegen die exorbitante Obdachlosigkeit tun kann, besitzt aber gleichzeitig die Unverfrorenheit, sich für seinen angeblichen Edelmut feiern zu lassen. Das passt zusammen wie Feuer und Wasser - nämlich gar nicht.

Was glaubt der Amazon-Gründer eigentlich, wie wir darüber denken? Will er für sein - meiner Ansicht nach - asoziales Verhalten auch noch Beifall bekommen? Bezos' Spendenbereitschaft ist doch reine Augenwischerei. Würden alle ordentlich ihre Steuern zahlen, was Leute wie ihn keineswegs an den Bettelstab brächte, wäre der Staat nicht chronisch klamm und könnte das Geld in Kindergärten und Sozialwohnungen investieren. Und zwar sinnvollerweise dort, wo es wirklich notwendig ist. Aber nein, die Reichen wollen auch noch nach Gutsherrenart selbst darüber entscheiden, wer was und wie viel vom Kuchen abbekommt, die Allgemeinheit soll sich da gefälligst heraushalten. Das ist undemokratisch und verbreitet den üblen Geruch eines neuen Feudalismus.

Die durch explodierende Mieten verarmende Mittelschicht auf der einen, unbeschreibliche Vermögenszuwächse für die Superreichen auf der anderen Seite - das ist der Nährboden, auf dem in den USA und in Europa die Rechtspopulisten gedeihen: Trump, Salvini, Orban, Kaczyński, Strache, Le Pen, Wilders, Gauland & Konsorten. Von daher kann ich die Wut der Menschen verstehen, wenngleich mich das Ganze nicht dazu verleitet, die Feinde der Demokratie zu wählen. Aber so ungerecht, wie der Wohlstand in den westlichen Demokratien derzeit verteilt ist, darf es nicht bleiben. Falls doch, droht der Demokratie der Untergang.

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[1] von 296,06 US-$ am 16.09.2013 bzw. 992,21 US-$ am 14.09.2017 auf 1.970,19 US-$ am 14.09.2018, jeweils NASDAQ-Schlusskurs, Daten nach Angaben von finanzen.net
[2] heise.de vom 14.09.2018
[3] Die Welt-Online vom 04.10.2017
[4] Die Welt-Online vom 09.10.2017
[5] Wikipedia (engl.), Homelessness in Seattle