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| Impressum 22. September 2018, von Michael Schöfer Reine Lippenbekenntnisse Schon vor Jahren versprach der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) einen "Paradigmenwechsel" bei den Rüstungsexporten. Waffenlieferungen, insbesondere nach Saudi-Arabien, sollten künftig restriktiver gehandhabt werden. Doch das Versprechen blieb uneingelöst, immer wieder musste sich Gabriel für Rüstungsexporte, die seinen vollmundigen Ankündigungen widersprachen, entschuldigen. "Ich kann leider die Entscheidungen der letzten Jahre nicht rückgängig machen, deshalb wird es in diesem und in den nächsten Jahren noch zu Exporten kommen, die bereits vor Jahren genehmigt wurden", hieß es dann. [1] Das Bekenntnis zu einer zurückhaltenden und verantwortungsvollen Rüstungsexportpolitik findet man auch heute noch auf der Website des Bundeswirtschaftsministeriums, das inzwischen von Peter Altmaier (CDU) geführt wird. Klingt zwar gut, allerdings sieht die Realität ganz anders aus. Der Konflikt im Jemen ist trotz des unbeschreiblichen Leids, das er bei der Zivilbevölkerung hervorruft, weitgehend aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden. 22 Millionen Menschen sind von Hilfslieferungen abhängig, das Land leidet mittlerweile unter einer schweren Versorgungskrise, es fehlt praktisch an allem (Wasser, Nahrung, Medikamente etc.). Die Große Koalition (CDU, CSU, SPD) hat deshalb in ihrem Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 versprochen: "Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben. Wir wollen diese restriktive Exportpolitik mit Blick auf den Jemen auch mit unseren Partnern im Bereich der europäischen Gemeinschaftsprojekte verabreden. Auf dieser Basis streben wir ebenfalls eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik an und wollen den gemeinsamen Standpunkt der EU fortentwickeln." [2] In dem ganzen Chaos immerhin ein Fünkchen Hoffnung. Leider ein trügerisches Fünkchen Hoffnung, denn was müssen wir in den Medien lesen? "Bundesregierung genehmigt weitere Waffenexporte an Saudi-Arabien", meldet etwa die Deutsche Welle. "Die Bundesregierung hat grünes Licht für weitere Waffenlieferungen in die Golfstaaten und andere Länder des Nahen Ostens gegeben, darunter an Saudi-Arabien. Neben Waffenexporten an Saudi-Arabien genehmigte der Bundessicherheitsrat auch Ausfuhren an die Vereinigten Arabischen Emirate, an Katar, Jordanien und Ägypten." [3] Wer gehört der Militärallianz an, die seit 2015 im Jemen militärisch interveniert? Unter anderem Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Jordanien und Ägypten - also genau die Länder, die nun entgegen den Zusagen im Koalitionsvertrag Waffen geliefert bekommen. Diese Staaten gehören zu den sogenannten Drittländern: "Drittländer sind alle Staaten, die weder der EU noch der NATO oder den NATO-gleichgestellten Staaten angehören." Bei solchen Kunden muss man ganz genau hinschauen, weil sie nicht selten in Konflikte verwickelt sind. Doch trotz den immer wieder bekräftigten Versicherungen, die Rüstungsexporte restriktiver zu handhaben, sind die Ausfuhrgenehmigungen für Waffenlieferungen an Drittstaaten im vergangenen Jahr auf 3,795 Mrd. Euro gestiegen (2016: 3,668 Mrd. €). [4] Auch die Betrachtung über einen längeren Zeitraum hinweg entlarvt das Gerede über die Zurückhaltung bei Exportgenehmigungen als das, was es den harten Fakten zufolge unbestreitbar ist: eine handfeste Lüge. Die Waffenexporte an diese Staatengruppe sind nämlich zwischen 1996 und 2017 um satte 346,5 Prozent gestiegen, haben sich somit mehr als vervierfacht.
In
dieser Hinsicht waren übrigens alle Bundesregierungen gleich,
ob sie nun von Helmut Kohl (CDU), Gerhard Schröder (SPD) oder
Angela Merkel (CDU) geführt wurden. Die Rüstungsexporte an
Drittländer steigen seit Jahrzehnten ohne Unterlass (dass sie
zwischendurch auch einmal sinken, ist vollkommen unerheblich,
die Tendenz zeigt eindeutig nach oben). Das Geschäft mit dem
Tod blüht und ist offenbar äußerst lukrativ. Die jahrelange
Kritik daran perlt an den Politikern einfach ab - bis dann die
Folgen der Konflikte in Form von Flüchtlingen zu uns
hereinschwappen.
Die
Beteuerungen der Politiker, die Waffenexporte im Interesse der
Friedenssicherung zurückzuschrauben, sind lediglich
Lippenbekenntnisse. Für jeden Einzelfall haben sie die
passende Ausrede parat, die Lobbyisten der Waffenindustrie
leisten zweifellos gute Arbeit. Allerdings haben die Politiker
dadurch viel Vertrauen verspielt. Wie auf so vielen anderen
Politikfeldern präsentieren uns die Regierenden auch in puncto
Waffenexporte bloß Scheinlösungen, denn in Wahrheit passiert
genau das Gegenteil dessen, was sie öffentlich verkünden. Und
angeblich haben sie keinen blassen Schimmer, woher die
grassierende Politikverdrossenheit kommt. Warum eigentlich?
Der Eindruck, dass sie nichts auf die Reihe bekommen und die
Probleme, die den Bürgerinnen und Bürgern unter den Nägel
brennen, ungelöst bleiben, wird ja immer wieder aufs Neue
bestätigt.
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[1]
FAZ.Net vom 18.05.2014
[2]
CDU, Koalitionsvertrag 2018, Seite
149, PDF-Datei mit 8,32 MB
[3]
Deutsche Welle vom 19.09.2018
[4]
BMWi, Bericht der Bundesregierung über
ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre
2017, Rüstungsexportbericht 2017, Seite 20, PDF-Datei mit
873 kb
[5] Rüstungsexportberichte 2010, 2011, und 2017
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