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23. September 2018, von Michael Schöfer
Was für ein mieses Schauspiel


Liebe Amerikaner, dass ihr in puncto Sexualität, vorsichtig ausgedrückt, einen an der Waffel habt, steht ja wohl bereits seit langem fest. Wir erinnern uns: Weil ein sechsjähriger Erstklässler in der Schule einer Mitschülerin auf die Hand küsste, wurde er vom Unterricht ausgeschlossen. Vorwurf: sexuelle Belästigung. [1] Ihm erging es zumindest noch wesentlich besser als einem Zehnjährigen, der seiner kleinen Schwester im Garten beim Pinkeln half - er wurde wegen "schwerem Inzest" festgenommen und von der Polizei in Hand- und Fußfesseln abgeführt. Nach zehn Wochen im Jugendgefängnis durfte er zu seiner Familie zurück, die Anklage gegen ihn wurde wegen einem Verfahrensfehler fallengelassen. [2]

Angesichts dessen glaube ich die skurrilen Geschichten, dass es bei euch in manchen Bundesstaaten sogar Vorschriften über erlaubte bzw. verbotene Sex-Stellungen gibt, aufs Wort. Missionarsstellung genehmigt, Coitus a tergo (wie angeblich in Florida) oder Oralsex (wie angeblich in Tennessee) gesetzlich untersagt. Stellt sich nur noch die sicherlich recht interessante Frage, wie die Polizei den konkreten Verlauf von Tête-à-Têtes überwachen will. Einerseits kann bei euch der etwas intensivere Blickkontakt mit einer Frau schon als sexuelle Belästigung ausgelegt werden, andererseits erwirtschaftet eure Porno-Industrie Milliardenumsätze. Wie kriegt ihr bloß das Nebeneinander von Prüderie und Schamlosigkeit auf die Reihe? Wie bitte? Gar nicht? Ihr werdet verrückt dabei? Auch das glaube ich aufs Wort.

Nun geht es offenbar Brett Kavanaugh an den Kragen, der von Donald Trump als Richter für den Supreme Court nominiert wurde und alle Vorwürfe zurückweist. Dass Kavanaughs Nominierung umstritten ist, dürfte angesichts des angespannten innenpolitischen Klimas jedem klar sein. Doch die Art und Weise, wie man den Kandidaten zu diskreditieren und damit zu verhindern versucht, ist höchst befremdlich. Kavanaugh soll vor 36 Jahren als 17-Jähriger bei einer Highschool-Party in betrunkenem Zustand eine 15-Jährige massiv sexuell belästigt haben. Die heutige Psychologie-Professorin wirft ihm versuchte Vergewaltigung vor: "Kavanaugh und ein Freund hätten sie während einer Party in einem Haus in Maryland in einem Schlafzimmer festgehalten. Beide Jungen seien betrunken gewesen. Der Freund habe zugesehen, wie Kavanaugh sie aufs Bett gedrückt und versucht habe, ihr die Kleider auszuziehen. Sie habe versucht zu schreien, aber Kavanaugh habe ihr den Mund zugehalten. Ford konnte nach eigenen Angaben entkommen, als der Freund auf sie beide gesprungen sei und alle zu Boden gegangen seien." [3] Der von ihr benannte Augenzeuge will sich jedoch an nichts erinnern. Das FBI wiederum wird den Fall nicht untersuchen, weil die Straftat, so sie denn überhaupt stattgefunden hat, natürlich längst verjährt ist und kein Bundesgesetz tangiert war.

Wie soll man mit solchen Anschuldigungen umgehen? Wer sagt die Wahrheit, wer lügt? Wahrscheinlich lässt sich das nie aufklären. Kavanaugh ist nur einer von vielen, der in einem völlig überreizten Klima, das einer Hexenjagd ähnelt (Stichwort MeToo-Debatte), unter die Räder zu kommen droht. Ich will damit keineswegs bestreiten, dass es sexuelle Belästigung gibt, aber in den meisten Fällen liegen die vermeintlichen Taten Jahre zurück und objektive Beweise sind rar. Rechtsstaatliche Grundsätze kann man daher vergessen, vielen genügt schon allein die Anschuldigung, um über Menschen den Stab zu brechen. Außerdem wird heutzutage das möglicherweise nur reichlich ungeschickte Gefummel von Teenagern während einer Schüler-Party ganz anders bewertet, als zu Beginn der etwas freizügigeren achtziger Jahre. Wenn mittlerweile schon - siehe oben - die harmlosesten Dinge sexualisiert und damit kriminalisiert werden, braucht man sich über ein derart vergiftetes Klima wirklich nicht zu wundern.

Ob der als erzkonservativ geltende Kavanaugh Mitglied des Supreme Court wird, ist zweifellos wichtig. Doch die Mittel, die man inzwischen bei politischen Auseinandersetzungen anwendet, sind mir offen gesagt total zuwider. Das Ganze riecht förmlich nach einem unseriösen Manöver seitens der Demokratischen Partei. Es sollte aber allein darum gehen, ob Kavanaugh ein guter Jurist ist und im Supreme Court unvoreingenommen urteilen wird. Solange nicht hieb- und stichfest bewiesen werden kann, dass er vor Jahrzehnten ein Verbrechen begangen hat, soll er meinetwegen im Senat die dafür notwendige Mehrheit erhalten. Das Spiel nennt man gemeinhin Demokratie. Und Demokratie ist nicht, wenn man nur Entscheidungen akzeptiert, die einem gefallen.

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[1] Spiegel-Online vom 13.12.2013
[2] Spiegel-Online vom 11.11.1999
[3] Die Zeit-Online vom 16.09.2018