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11. Dezember 2018, von Michael Schöfer
Ein Stück aus dem Tollhaus


Dass man in der Antike die Überbringer schlechter Botschaften geköpft hat, ist vielleicht bloß ein Mythos. Doch der Reflex, sie zu bestrafen, hat sich bis in die Neuzeit gehalten, nur geht man heutzutage ein bisschen subtiler vor. Die CDU will etwa per Parteitagsbeschluss prüfen lassen, ob die Deutsche Umwelthilfe weiterhin als gemeinnützige Organisation anerkannt wird. Und sie soll keine Gelder mehr aus dem Bundeshaushalt bekommen. Die DUH hat nämlich vor den Gerichten erfolgreich gegen die Umweltverschmutzung durch Autoabgase geklagt und dort etliche Fahrverbote erwirkt. Das ist natürlich eine schlechte Botschaft - vor allem für die deutsche Autoindustrie, die es mit den Abgas-Grenzwerten bekanntlich nicht so genau nimmt. Aber anstatt den Verursacher der schlechten Luft an der weiteren Verschmutzung zu hindern, will man demjenigen an den Karren fahren, der auf die Überschreitung der gesetzlich festgelegten Grenzwerte hingewiesen hat und obendrein so unverschämt war, deren Einhaltung auch noch einzuklagen. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen! Das ganze Blabla der CDU über die Bewahrung der Schöpfung ist deshalb nichts als substanzloses Geschwätz. Die CDU behauptet unverdrossen, die Rechtsstaatspartei zu sein, doch die Realität sieht leider anders aus. In Wahrheit verhöhnt sie ihn.

Die SPD ist allerdings keinen Deut besser. Attac sei zu politisch - mit dieser Begründung entzog das Finanzamt Frankfurt/Main der Organisation im Jahr 2014 die Gemeinnützigkeit. Das hatte unangenehme Folgen: Spender können ihre Spende seitdem nicht mehr steuermindernd geltend machen, denn Attac darf vorerst keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen. Die Kritiker der Finanzindustrie haben zwar den Prozess in der zweiten Instanz gewonnen, doch im Januar 2018 ist das Bundesfinanzministerium dem inzwischen beim Bundesfinanzhof anhängigen Rechtsstreit als Prozesspartei beigetreten. [1] Damals war noch Wolfgang Schäuble (CDU) Bundesfinanzminister, der offiziell für die Einführung der Finanztransaktionssteuer eintrat. Kurios: Ausgerechnet zu diesem Zweck ist Attac einst gegründet worden. Dennoch meinte offenbar auch er: Attac darf nicht gemeinnützig bleiben.

Nun wollte ich von der SPD wissen, was der stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei, Olaf Scholz, darüber denkt. Von der SPD bekam ich jedoch die Auskunft: "Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten, da Sie die Arbeit des Bundesministeriums für Finanzen und nicht die Arbeit des SPD-Parteivorstandes betrifft." Ich möge mich ans Bundesfinanzministerium wenden. Gesagt, getan. Wenn ich vom SPD-Vorstandsmitglied Olaf Scholz keine Auskunft bekomme, erfahre ich vielleicht vom Bundesfinanzminister Olaf Scholz, was er davon hält. Das trägt zwar einen Hauch Schizophrenie in sich, aber was soll's. Es wäre ja möglich, dass der neue Chef anordnet, nicht mehr gegen Attac zu klagen. Immerhin schreibt die SPD auf ihrer Website: "Unsere Handschrift im Koalitionsvertrag - wir stärken die Zivilgesellschaft." [2] Der Bundesfinanzminister hat mir bislang nicht geantwortet. Das wird doch hoffentlich nicht ebenfalls lediglich Parteipropaganda sein. Obgleich… Bei der SPD habe ich mittlerweile sämtliche Illusionen verloren.

Die Banken haben den Staat mit Cum-Ex-Geschäften um etliche Milliarden erleichtert, europaweit angeblich um mindestens 55 Mrd. Euro. Bei den bewusst kompliziert angelegten Geschäften, die Finanzämter sollten schließlich mit Absicht den Überblick verlieren, lässt man sich einmal oder gar nicht gezahlte Kapitalertragssteuer mehrfach vom Fiskus erstatten. Der Steuerzahler wurde also ordentlich gemolken. In meinen Augen ist das kriminell. Doch nun ermittelt die Staatsanwaltschaft ausgerechnet gegen den "Correctiv"-Chefredakteur Oliver Schröm, durch dessen Recherchen die Steuertrickserei erst aufgeflogen ist. Grund: Anstiftung zum Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Lesen Staatsanwälte keine Urteile? "Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Informationen versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommenden Funktionen wirksam wahrzunehmen. Der Presse kommt neben einer Informations- insbesondere eine Kontrollfunktion zu." Die Pressefreiheit ist konstitutiv (grundlegend, wesentlich, elementar) für die Demokratie. Sagt zumindest das Bundesverfassungsgericht. [3] Dieser abermalige Angriff auf die Pressefreiheit ist ein Skandal, passt aber - siehe oben - ins Bild: Der Überbringer schlechter Botschaften soll fertiggemacht werden.

Es wird höchste Zeit, Whistleblower und Journalisten gesetzlich stärker zu schützen, denn die Aufdeckung von Missständen darf nicht kriminalisiert werden. Dass es häufig andersherum läuft, ist ein Stück aus dem Tollhaus. Und die geplante Aberkennung der Gemeinnützigkeit ist an Absurdität kaum zu überbieten. "Recht, nicht Rache", lautet ein fundamentales Rechtsstaatsprinzip. In puncto DUH und Attac scheint es umgekehrt zu sein.

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[1] Attac vom 25.01.2018
[2] SPD
[3] Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14.09.2015, 1 BvR 857/15