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16. Dezember 2018, von Michael Schöfer
Kein Pessimismus, sondern Realismus


Wer schon seit langem die Diskussion über die Auswirkungen der Erderwärmung verfolgt, kann von der Klimakonferenz in Kattowitz nur enttäuscht sein. Auch künftig wird es keine verbindlichen Ziele zur Reduzierung der CO2-Emissionen geben. Was bleibt sind Transparenzregeln, die mithilfe des sozialen Drucks (jeder schaut jedem auf die Finger) dafür sorgen sollen, dass sich die Staaten anstrengen. Doch das ist, mit Verlaub, Pipifax. Die Realität sieht leider anders aus: Die Menschheit verhält sich so irrational wie die Insassen eines vollbesetzten SUV, der mit hoher Geschwindigkeit auf einen Brückenpfeiler zurast. Während die einen noch angestrengt darüber diskutieren, ob man nicht vielleicht doch in Erwägung ziehen sollte, demnächst mal auf die Bremse zu treten, drückt der Fahrer zusätzlich aufs Gaspedal. Kein Wunder, denn er heißt Donald Trump und ist davon überzeugt, dass der Brückenpfeiler in Wahrheit gar nicht existiert. Die massive Stahlbetonwand ordnet er unter der Rubrik "Fake-News" ein und bezeichnet sie als eine Erfindung der Chinesen. Bon Voyage, kann man da nur wünschen.

Der globale CO2-Ausstoß hat 2018 erneut ein Rekordniveau erreicht (ein Plus von voraussichtlich 2,7 %) und ist damit sogar stärker gestiegen als 2017 (+ 1,6 %). Es wird also schlimmer, nicht besser. Das Jahr 2018 hat gute Chancen, als viertwärmstes seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (1880) in die Geschichte einzugehen. 2015/2016 waren wahrscheinlich bloß wegen dem El-Niño-Effekt wärmer. Was nützt es, offiziell am 1,5 Grad-Ziel festzuhalten, wenn wir uns faktisch auf eine Welt zubewegen, in der die Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100 mindestens um das Doppelte ansteigt? Vergleichbare klimatische Verhältnisse gab es zuletzt vor drei Millionen Jahren. Zu jener Zeit, die Vorfahren des Homo sapiens (die Australopithecinen) hatten gerade den aufrechten Gang erlernt, lag der Meeresspiegel 18 Meter höher als heute. Es ist der Trägheit der Eismassen zu verdanken, dass die Ozeane nur mit Verzögerung wieder dieses Niveau erreichen. Aber eins scheint aus heutiger Sicht festzustehen: Sie erreichen es, weil der Abschmelzprozess bereits eingesetzt hat und offenbar kaum noch aufzuhalten ist.

Die Nordsee reicht dann durch die geografischen Gegebenheiten (Mecklenburgisches Elbetal) ungefähr bis zum beschaulichen Salzwedel in der Altmark (in Luftlinie 199 km von Cuxhaven entfernt und im Durchschnitt 19 m über Normalhöhennull). Lübeck, Hamburg, Bremen? Kann man vergessen, stehen metertief unter Wasser. Die britische Hauptstadt London übrigens ebenfalls. Viele Kommunen können von Glück reden, wenn sie dann in der weit bis ins heutige Festland hineinreichenden Nord- und Ostsee auf den neugebildeten Inseln stehen. Die Niederlande wiederum… Äh, welche Niederlande? Bis auf kleine Zipfelchen an der Grenze zu Belgien oder Deutschland vollständig in den Fluten verschwunden.

Aber im Jahr 2100 ist die Erderwärmung noch lange nicht zu Ende. Nein, es geht weiter: "Bei gleichbleibendem CO2-Ausstoß könnten im Jahr 2150 (...) sogar Klimabedingungen herrschen, wie sie zuletzt vor rund 50 Millionen Jahren vorkamen." Damals lag die globale Durchschnittstemperatur um 13 Grad höher als heute. [1] Anstatt Schals und Winterjacken sind an Weihnachten T-Shirts und Sommerhosen angesagt. Wer nach wie vor Ursache und Ausmaß leugnet, lebt in einer anderen Welt.

Doch selbst wer erkennt, was da auf uns zukommt, nimmt diese Erkenntnis noch lange nicht zum Anlass, sein Verhalten zu ändern. Laut Zulassungsstatistik des Kraftfahrtbundesamtes hatten im Jahr 2018 (Jan. - Nov.) die SUVs bei den Neuzulassungen einen Anteil von 18,4 Prozent und mit einem Plus von 22,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum den höchsten Zuwachs. [2] Auf dem zweiten Platz landeten Wohnmobile (+ 15,6 %) gefolgt von Oberklassefahrzeugen (+ 13,6 %) und Sportwagen (+ 5,1 %). Im Gegensatz dazu ist der Zuwachs von Minis (+ 4,0 %) und Kleinwagen (+ 1,0 %) vergleichsweise bescheiden. Ausgerechnet die Spritschlucker legen am meisten zu. Kein Wunder, wenn die CO2-Emissionen des Verkehrsbereichs steigen anstatt zu sinken (im ersten Halbjahr 2018 hat der durchschnittliche CO2-Ausstoß der Neuwagen um 1,3 % zugelegt).

Es ist keine unzulässige Übertreibung oder irreale Dramatisierung, wenn man prophezeit, dass der menschlichen Zivilisation, so wie wir sie kennen, der Kollaps droht. Angesichts dessen ist es eine Untertreibung, die Ergebnisse der Klimakonferenzen als enttäuschend zu bezeichnen, sie sind vielmehr katastrophal. Doch wer das Kind beim Namen nennt, wird als Schwarzseher verteufelt, schließlich soll die Party auf der Titanic unbeschwert weitergehen. Nein, der Menschheit ist wirklich nicht mehr zu helfen. Das ist kein Pessimismus, sondern Realismus.

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[1] Der Standard vom 12.12.2018
[2] Kraftfahrtbundesamt, Neuzulassungsbarometer, Personenkraftwagen im November 2018 nach ausgewählten Segmenten