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21. Dezember 2018, von Michael Schöfer
Engstirnig und provinziell


Ich schäme mich. Ich schäme mich für die engstirnigen Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. [1] Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs ist es Museumsbesuchern aufgrund des dort geltenden Hausrechts untersagt, Fotos eines gemeinfreien Werkes anzufertigen und zu verbreiten. Dass die Bilder des Ausstellungskatalogs unter dem Schutz des Urheberrechts stehen, kann man gerade noch akzeptieren, schließlich wurde der Katalog vom Museum angefertigt. Dass aber auch die Verbreitung von selbst angefertigten Fotos gemeinfreier Gemälde qua Hausrecht unterbunden wird, sofern das Museum ein Fotografierverbot erlassen hat, ist in meinen Augen unverständlich. So wird der Schutz des Urheberrechts über den Umweg des Vertragsrechts faktisch unbegrenzt verlängert, obgleich die Frist beim Werk selbst längst abgelaufen ist. Das hat zur Folge, dass nun viele Bilder einer breiteren Öffentlichkeit entzogen werden, weil sie beispielsweise nicht mehr über Wikipedia zugänglich sind. Obendrein müssen Nutzer solcher Fotos mit Abmahnungen rechnen, denn wer weiß schon genau, unter welchen Umständen das Foto eines an sich gemeinfreien Werkes entstanden ist.

"Der Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen, Alfried Wieczorek, wies darauf hin, dass der Wikipedia-Autor auf Anfrage hätte fotografieren und gegen Genehmigung auch für bestimmte kommerzielle Zwecke die Fotografie-Erlaubnis hätte erhalten können. Sein Haus begegne Projekten wie Wikipedia mit Sympathie. Aber: 'Wir möchten selbst über das Ob und das Wie der öffentlichen Zugänglichmachung unserer Bestände entscheiden.'" [2] Und er beklagt, "dass das Wikimedia-Portal eben keineswegs nur das hehre Ziel der Kunstverbreitung fördere, sondern insbesondere von US-Firmen genutzt werde, um die Motive auf Teller, Tassen oder Deckchen zu drucken." [3] Meiner Meinung nach sind das fadenscheinige Ausflüchte.

Weltweit stellen Museen von sich aus Fotos ihrer Bilder ins Internet und verzichten dabei nicht selten auf jeglichen Urheberrechtsschutz. Auf der Website des Musée d’arts de Nantes ist zum Beispiel das Foto des Gemäldes "Le pape Formose et Etienne VII" des Malers Jean-Paul Laurens unter der "public domain"-Lizenz zu finden (fotografiert von Gérard Blot). Ebenso das Gemälde "Diogenes" von Jean-Léon Gérôme beim Walters Art Museum in Baltimore. Beide stehen demzufolge in hoher Auflösung auf Wikimedia Commons zum Download zur Verfügung. Im Gegensatz dazu glänzt das angeblich so weltoffene Mannheim mal wieder mit Engstirnigkeit und Provinzialität. Die Reiss-Engelhorn-Museen sind zu allem Überfluss ein Eigenbetrieb der Stadt Mannheim, was die Klage noch kurioser macht. Dienst zugunsten der Allgemeinheit sieht jedenfalls anders aus. Da kontrolliert man nicht kleinkariert die Nutzung gemeinfreier Werke, sondern freut sich an deren Verbreitung und unterstützt sie nach Kräften. Das Verhalten der Reiss-Engelhorn-Museen spiegelt nicht die Weltoffenheit wider, die Mannheim normalerweise für sich in Anspruch nimmt. Aber wir sind es ja gewohnt, dass das Mannheimer Selbstbild nicht immer mit der Realität übereinstimmt. [4]

Creative Commons-Lizenzen würden es den Reiss-Engelhorn-Museen erlauben, die kommerzielle Nutzung von Fotos der ausgestellten Bilder zu steuern. Bei der Creativ Commons-Lizenz "Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International" (CC BY-NC-SA 4.0) darf man das Material nicht für kommerzielle Zwecke nutzen, aber unter gleichen Bedingungen weitergeben. Bilder wären somit für alle nichtkommerziellen Zwecke verwendbar - für Wikipedia, Blogger und alle Kunstliebhaber. Aber das ist wohl schon viel zu viel Weltoffenheit, offenbar will man es damit in Mannheim nicht gleich übertreiben. Der Prozess zeigt obendrein, wie antiquiert die restriktive deutsche Gesetzgebung im Internet-Zeitalter daherkommt. In Sonntagsreden schwadronieren Politiker gerne über die "Informations- und Wissensgesellschaft", zu der wir uns hinentwickeln sollten, doch wenn es konkret wird, zuckt man hierzulande oft genug zurück. Kein Wunder, dass Deutschland gerade bei der Digitalisierung den Anschluss zu verpassen droht. Wenn bei uns noch nicht einmal das Abfotografieren von gemeinfreien Werken erlaubt ist...

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[1] Zur Namensänderung des damaligen Reiß-Museums habe ich mich bereits vor langer Zeit hier geäußert: Umbenennung des Reiß-Museums ist eine schlimme Verhöhnung vom 01.05.2004
[2] Rhein-Neckar-Zeitung vom 20.12.2018
[3] Süddeutsche vom 20.12.2018
[4] siehe Sprachhauptstadt Mannheim vom 04.08.2007