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31. Januar 2019, von Michael Schöfer
Warum braucht die Bundesmarine ein Segelschulschiff?


"Die seemännische Ausbildung auf einem Großsegler ist für die Professionalität und die berufliche Identität des Offiziernachwuchses der Deutschen Marine von überragender Bedeutung", liest man im Presseportal der Bundesmarine. [1] Auf dem Segelschulschiff Gorch Fock würden angehende Offiziere das seemännische Handwerk lernen, heißt es. Und die Politik assistiert: "Wer die Ausbildung der Marineoffiziere der Bundeswehr auf einem Segelschulschiff in Frage stellt, der reißt ein Stück aus dem Herzen einer guten und belastbaren Gemeinschaft", meint Ex-Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt (CSU). [2] Ach ja, die ganz großen Emotionen eben. Blutende Herzen hin oder her, die Sanierungskosten der Gorch Fock wurden jedenfalls zuletzt auf 135 Mio. Euro beziffert, ursprünglich sollten es bloß 10 Mio. sein. Bundesverteidigungsministerin von der Leyen (CDU) will das Segelschulschiff bis 2020 wieder seetauglich bekommen. Ob mit den 135 Mio. das Ende der Kostensteigerungen erreicht ist, bleibt jedoch abzuwarten. Weitere Überraschungen sind, allen Dementis zum Trotz, nicht ausgeschlossen.

Neben der Kostenexplosion und den Umständen der Sanierung (es stehen Korruptionsvorwürfe im Raum) stellt sich m.E. die Frage, warum die Bundesmarine überhaupt ein Segelschulschiff braucht. Angesichts der eingangs erwähnten Äußerungen scheint ein solches ja unverzichtbar zu sein. Allerdings gibt es daran berechtigte Zweifel, denn es geht anscheinend auch ohne. Die Royal Navy bildet ihre Kadetten auf der HMS Bristol aus, diese dient darüber hinaus den Seestreitkräften anderer Staaten zur Ausbildung der Nachwuchs-Offiziere, etwa den USA, Kanada, Indien und Südafrika. "Insgesamt nutzen jährlich etwa 14.000 Kadetten aus 21 Staaten das Schiff." [3] Klingt nach Effizienz. Die HMS Bristol ist freilich kein Segelschiff, sondern ein Zerstörer. Aufgrund des Austauschprogramms mit den Vereinigten Staaten benötigt die US Navy offenbar kein eigenes Schulschiff, zumindest habe ich im Internet keine Informationen darüber gefunden. Lediglich die US-Küstenwache verfügt noch über ein Segelschulschiff der Gorch-Fock-Klasse, es heißt Eagle und diente bis zum Kriegsende der Marine des Deutschen Reiches. [4] Die Eagle ging 1946 als Reparationsleistung in den Besitz der Vereinigten Staaten über.

Die eigentliche Frage ist: Wenn die beiden besten Marinestreitkräfte der Welt ohne Segelschulschiff auskommen, wieso ist dann die Gorch Fock für die deutsche Marine angeblich unverzichtbar? Die seemännische Ausbildung und die Professionalität der amerikanischen und britischen Offiziere wird ja wohl kaum schlechter sein als die der deutschen. Ist es nicht vielleicht doch eher überkommene Seefahrerromantik, die die Bundesmarine an einem Segelschulschiff festhalten lässt? Kann sie nicht wie die Briten ebenfalls einen ausgemusterten Zerstörer zum Schulschiff umrüsten? Militärisch spielen Segelschiffe seit Mitte des 19. Jahrhunderts keine Rolle mehr, muss es also unbedingt wieder ein Segelschulschiff sein? Meiner Meinung nach sind Schiffe wie die Gorch Fock ein Anachronismus. Auf der Windjammerparade der Kieler Woche schön anzusehen, aber unter militärischen Gesichtspunkten durchaus verzichtbar.

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[1] Presseportal.de, Presse- und Informationszentrum Marine vom 07.08.2017
[2] NRZ vom 30.01.2019
[3] Wikipedia, HMS Bristol (D23)
[4] Wikipedia, Eagle (Schiff)