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03. Februar 2019, von Michael Schöfer
Sigmar Gabriel zurückzuholen wäre eine Schnapsidee


"Warum die Union jetzt einen Friedrich Merz bräuchte", titelte die Süddeutsche kurz nach der Ankündigung Angela Merkels, den Parteivorsitz der CDU abzugeben. Und das gut einen halben Monat bevor Merz seine Kandidatur offiziell bekanntgab. Wollte das Blatt dem Ex-Politiker und Aufsichtsratschef des Vermögensverwalters BlackRock den Weg ebnen? "Auch wenn Merz 2009 ausgeschieden ist, auch wenn er in den vergangenen Jahren in der Wirtschaft vor allem viel Geld verdient hat - seine Arbeit hat ihn eher unabhängiger gemacht für eine neue Aufgabe. Und sein Herz brennt bis heute für die Christdemokraten. Das würden die Delegierten auf einem Parteitag binnen Sekunden merken." [1] Nun ja, die Delegierten merkten vor allem, dass der mit zahlreichen Vorschusslorbeeren bedachte Kandidat schon auf den Regionalkonferenzen unerwartet blass geblieben ist. Die Eloge auf Friedrich Merz war daher ebenso verfrüht wie unzutreffend.

Jetzt macht sich Heribert Prantl (Mitglied der SZ-Chefredaktion) unverhofft für Sigmar Gabriel stark. "Gabriel ist die große Nummer unter den Sozialdemokraten; bei den Sozialdemokratinnen ist es Franziska Giffey. Und dass es angesichts der elenden Lage der SPD starke Sehnsüchte gibt, bis hin zu einer Doppelspitze, ist nicht verwunderlich. (...) Nahles und Co. haben vor einem knappen Jahr dem damals populärsten Sozialdemokraten den Laufpass gegeben. Sigmar Gabriel war Nahles, Dreyer, Schwesig und Co. zu hemdsärmelig und zu präpotent, sie fürchteten dessen Quertreibereien. Die Entscheidung, den Mann abzumeiern, war verständlich, aber unsouverän; der Verzicht auf Gabriel hat die Partei geschwächt." [2]

Ist es wirklich die Aufgabe des Journalismus, derart in innerparteiliche Ränkespiele einzugreifen? Das erlebt man ja oft: Zuerst wird ein Politiker hochgeschrieben, bloß um ihn anschließend niederzumachen. Sigmar Gabriel sei beim Wahlvolk zu unbeliebt, Martin Schulz könne die Union durchaus in die Bredouille bringen, schrieben die Medien im Herbst 2016. In der Tat, die Umfragewerte von Sigmar Gabriel lagen schon längere Zeit im Keller. Im Februar 2010 kam der laut Gerhard Schröder "vielleicht begabteste Politiker der SPD" beim Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen, was die Zufriedenheit mit den wichtigsten Politikerinnen und Politiker angeht, bei einer Skala von +5 bis -5 auf eher bescheidene 0,4 Punkte (= Platz 6 des Rankings). [3] Zu diesem Zeitpunkt war Gabriel erst fünf Monate Parteichef. Die Zufriedenheitswerte wurden allerdings auch danach nicht besser.

  • Februar 2011: 0,2 (= Platz 6)
  • Februar 2012: 0,6 (= Platz 5)
  • Februar 2013: 0,5 (= Platz 5)
  • Februar 2014: 0,9 (= Platz 4)
  • Februar 2015: 1,3 (= Platz 5)
  • Februar 2016: 0,7 (= Platz 6)
  • Februar 2017: 0,9 (= Platz 7)
Der damalige SPD-Chef hätte bei einer Direktwahl des Kanzlers gegen Angela Merkel nicht den Hauch einer Chance gehabt. Nicht ohne Grund war er nie Kanzlerkandidat seiner Partei, sondern ließ 2013 Peer Steinbrück und 2017 Martin Schulz den Vortritt, die ihre Sache allerdings auch nicht besser machten. Gabriel habe zwei Mal gekniffen, kommentierten die Journalisten hämisch. Kurioserweise stiegen Gabriels Beliebtheitswerte erst, nachdem er den Parteivorsitz abgab, beim ARD-Deutschlandtrend von infratest dimap schaffte er es im Dezember 2017 sogar auf Platz 1. Im ersten Halbjahr 2018 lag Sigmar Gabriel beim Politbarometer längere Zeit auf Platz 2.

Beliebtheitswerte sind übrigens eine reine Momentaufnahme, denn die Gunst des Volkes wechselt rasch. So war etwa im Februar 2010 und im Februar 2011 ein gewisser Karl-Theodor zu Guttenberg mit großem Abstand der beliebteste Politiker Deutschlands. Und im Februar 2017 führte Martin Schulz zwar die Top Ten an, trotzdem ließen ihn die Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl im September 2017 gnadenlos durchfallen. Sigmar Gabriels Spitzenwerte verteilen sich nur auf wenige Monate, seine schlechten Umfragewerte hielten sich jedoch über Jahre hinweg. Warum Heribert Prantl den früheren SPD-Chef wieder in einer Spitzenfunktion sehen möchte, ist angesichts dessen vollkommen unverständlich. Hat er den Anteil, den Gabriel an seinem schlechten Abschneiden hatte, vergessen? Seine Sprunghaftigkeit, seine Ungeduld, seine Übellaunigkeit, seine mangelnde Teamfähigkeit, sein Alphatier-Gehabe, sein gelegentlich undiplomatisches Auftreten. Kurzum, wenn Andrea Nahles schwächelt, bedeutet das noch lange nicht, dass die SPD mit ihrem früheren Vorsitzenden wieder in die Erfolgsspur zurückfinden würde. Sigmar Gabriel zurückzuholen wäre vielmehr eine Schnapsidee.

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[1] Süddeutsche vom 11.10.2018
[2] Süddeutsche vom 01.02.2019
[3] Forschungsgruppe Wahlen, Politbarometer Februar 2010