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01. März 2019, von Michael Schöfer
Putin und Erdogan hätten das Urteil bestimmt begrüßt


Ohne jeden Zweifel hätten sich auch Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan über das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Gemeinnützigkeit von Attac gefreut, denn es gibt kein eleganteres Mittel, eine kritische Nichtregierungsorganisation (NGO) lahmzulegen, als ihre Finanzquellen versiegen zu lassen. Wenn Putin gegen Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen wie Memorial, Amnesty International oder Human Rights Watch vorgeht, empört man sich hierzulande vollkommen zu Recht. Demokratie ist lästig, und Putin ist kein Demokrat. Noch nicht einmal ein lupenreiner. Aber wenn in Deutschland mit Hilfe der Justiz gegen lästige NGOs vorgegangen wird, ist das natürlich etwas anderes. Wirklich?

Die Methoden mögen sich im Detail unterscheiden, die Konsequenzen sind jedoch für die betroffenen Organisationen oft die gleichen. Von Idealismus lässt sich nämlich genauso wenig leben wie von Luft und Liebe. NGOs brauchen Geld, und genau hier setzt der BFH an: "Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck i.S. von § 52 AO. Eine gemeinnützige Körperschaft darf sich in dieser Weise nur betätigen, wenn dies der Verfolgung eines der in § 52 Abs. 2 AO ausdrücklich genannten Zwecke dient", schreiben die Richter in ihrem Urteil. "Bei der Förderung der Volksbildung i.S. von § 52 Abs. 2 Nr. 7 AO hat sich die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung auf bildungspolitische Fragestellungen zu beschränken. Politische Bildung vollzieht sich in geistiger Offenheit. Sie ist nicht förderbar, wenn sie eingesetzt wird, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen." [1] Nach dieser Logik ist nur ein zurechtgestutztes (bequemes) Engagement förderungswürdig.

Es ist geradezu absurd: Der Karneval-Förderverein ist gemeinnützig, eine Umweltorganisation, die sich für saubere Luft in den Städten einsetzt, dagegen nicht. Ein Kinder- und Jugendzirkus wird steuerlich gefördert, eine Menschenrechtsorganisation dagegen nicht. So hat das der BFH natürlich nicht gemeint, man darf sich durchaus für den Umweltschutz oder die Menschenrechte engagieren, aber dabei eben nicht "die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen beeinflussen". Anders ausgedrückt: Sich gegen die zynische Verkehrspolitik von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zu wehren, ist nicht förderungswürdig. Aber selbstverständlich darf man weiterhin ganz allgemein auf die Risiken von Stickoxiden für Menschen hinweisen. Das ist gewissermaßen die juristische Trennung von Theorie und Praxis, denn die Tagespolitik darf ja bei der Gemeinnützigkeit keinesfalls im Mittelpunkt stehen. Obendrein müssen sich gemeinnützige NGOs nach Ansicht des Gerichts "parteipolitisch neutral" verhalten. Was heißt das konkret? Da sich die Parteien selten einig sind, darf eine NGO dann überhaupt keine Stellung mehr beziehen? Schließlich könnte man ihr, egal wie sie sich äußert, Parteinahme vorwerfen. Der Gemeinnützigkeitsstatus mutiert zur Selbstzensur.

Außerdem gibt es da beispielsweise die Bertelsmann Stiftung, die sich Kritikern zufolge nicht völlig uneigennützig (Förderung unternehmerischen Denkens, Ökonomisierung aller Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge) zu vielen tagespolitischen Dingen äußert. Sie bleibt, wie könnte es anders sein, weiterhin gemeinnützig. Wo kämen wir da auch hin, wenn wir Gleiches gleich behandeln würden. Es ist anzunehmen, dass das BFH-Urteil demnächst auch gegen die Deutsche Umwelthilfe instrumentalisiert wird, dazu gibt es sogar schon einen Beschluss des CDU-Bundesparteitages. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Da regt eine Regierungspartei an, die Finanzverwaltung möge ihr einen höchst unangenehmen Kritiker vom Halse schaffen, der mit Klagen zur Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten vor den Gerichten auch noch Erfolg hat. So etwas war man bislang nur von autoritären Regimen gewohnt. Wie bereits erwähnt, Putin und Erdogan hätten das Urteil bestimmt begrüßt.

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[1] Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.01.2019, V R 60/17