Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



28. März 2019, von Michael Schöfer
Ein riskanter Vorschlag

"Arbeitnehmer, die die Voraussetzungen für eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen erfüllen, können diese unter bestimmten Voraussetzungen ganz oder teilweise ausgleichen. Hierfür müssen sie Zusatzbeiträge an die Rentenversicherung zahlen (Einmalzahlung oder Teilzahlungen). Diese Zahlungen sind ab dem 50. Lebensjahr möglich. Wer nachträglich beschließt, doch nicht vorzeitig in Rente zu gehen, erhält für die Zusatzbeiträge eine entsprechend höhere Rente", schreibt die Deutsche Rentenversicherung auf ihrer Website. Und sie erläutert das Ganze anhand eines Beispiels: "Michael K. will zwei Jahre vor der für ihn geltenden Regelaltersgrenze in Rente gehen. Bei einer Rente von 1.000 Euro (brutto) würde sich seine Monatsrente um 7,2 % bzw. um 72 Euro verringern. Zusatzbeiträge an die Rentenversicherung zum vollen Ausgleich des Abschlags würden derzeit in den alten Ländern etwa 17.527 Euro kosten." [1]

Es kann aber durchaus noch teurer werden. Um bei einer zu erwartenden Rentenhöhe von 1.200 Euro und einem um drei Jahre vorgezogenen Rentenbeginn den Abschlag von monatlich 129,60 Euro auszugleichen, ist die Einzahlung von 32.821,36 Euro notwendig. Das Geld muss man erst einmal haben. Doch lohnen sich die Zusatzbeiträge auch? Wovor die Deutsche Rentenversicherung leider nur unzureichend warnt, sind die damit verbunden Risiken. Zwar weist sie darauf hin, dass "eine Erstattung der Zusatzbeiträge nicht möglich" ist, aber sie lässt uns im Unklaren, was das konkret bedeutet.

Rechnen wir kurz nach. Laut Deutscher Rentenversicherung muss man 32.821,36 Euro einzahlen, um einen Rentenabschlag von monatlich 129,60 Euro zu vermeiden (ich lasse steuerliche Aspekte wie die Geltendmachung als Sonderausgaben, die Besteuerung der Rente und die rentenmindernden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Einfachheit halber einmal außer Acht):

32.821,36 € : 129,60 € = 253,3 Monate = 21,1 Jahre

Der Extrabeitrag rentiert sich also erst nach gut 21 Jahren. Anders ausgedrückt. Der Tipp mit dem freiwillig Einzahlen ist eine Wette darauf, wie lange man lebt. Werde ich steinalt und beziehe meine Rente länger als 21,1 Jahre, hat sich die Einzahlung gelohnt. Wunderbar. Sterbe ich früher, ist das Geld jedoch futsch. Ein Verlustgeschäft. Bedauerlicherweise sterben Männer momentan im Schnitt mit 77,6 Jahren, Frauen mit 82,1 Jahren.

Konkret heißt das: Für den Jahrgang 1958 beträgt die Regelaltersgrenze 66 Jahre. Geht ein Mann dieses Jahrgangs drei Jahre früher in Rente, muss er einen Abschlag in Höhe von 10,8 Prozent hinnehmen. Gleicht er diesen Abschlag mit dem Extrabeitrag aus, muss er mindestens 84 Jahre alt werden (63 + 21), um keine Verluste zu erleiden. Statistisch gesehen wird er aber nur 77,6 Jahre alt. Merken Sie was? Man braucht schon einen gesunden Optimismus, um auf das Angebot der Deutschen Rentenversicherung einzugehen.

Hätte man das Geld auf ein Bankkonto gelegt und nach Rentenbeginn jeden Monat 129,60 Euro abgehoben, wäre im Falle eines frühen Todes wenigstens noch Restkapital vorhanden. Restkapital gibt es bei der Rente freilich keines, die Deutsche Rentenversicherung darf es nämlich behalten. Genau das verbirgt sich hinter dem oben erwähnten Hinweis: "Eine Erstattung der Zusatzbeiträge ist nicht möglich."

Zwar gibt es die Hinterbliebenenversorgung, doch macht die "große" Witwen-/Witwerrente nach dem neuen Recht nur 55 Prozent der Rente des Verstorbenen aus. Die "kleine" Witwen-/Witwerrente fällt noch niedriger aus (25 Prozent) und wird obendrein längstens 24 Monate gezahlt. Außerdem wird bei der Hinterbliebenenversorgung das Einkommen des Hinterbliebenen angerechnet, dazu zählen Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen, Einkünfte aus Kapitalvermögen, Betriebsrenten oder Privatrenten sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Sind die Freibeträge überschritten, wird die Hinterbliebenenrente gekürzt.

Die Rendite des zusätzlich eingezahlten Geldes ist dadurch, selbst wenn die Witwe/der Witwer ein paar Jahre länger leben sollte, wesentlich niedriger. Die Rentenversicherung freut sich. Unter Umständen, wenn beide Ehepartner früh sterben, ist die Rendite negativ, d.h. es wurde mehr eingezahlt, als die Rentenversicherung an zusätzlichen Rentenleistungen auszahlt.

Geld auf dem Bankkonto kann man hingegen vererben, per Testament sogar an nicht verwandte Personen oder gegebenenfalls an Organisationen. Wer seinen Fußballverein abgöttisch liebt, kann ihm was vermachen. Mit der Rente geht das nicht. Bei Verwandten sind die Freibeträge recht üppig, so dass wohl die meisten Erblasser ihr Vermögen steuerfrei an die Erben weiterreichen können.

Vermögen fällt darüber hinaus unter die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes und ist nicht von irgendwelchen Rentengesetzen abhängig, die sich je nach Regierungskoalition auch einmal unverhofft ändern können. In den vergangenen Jahren waren Rentenreformen bekanntlich oft mit Verschlechterungen verbunden.

Geldvermögen unterliegt derzeit keiner Besteuerung, für Zinserträge oberhalb des Sparerfreibetrags ist allenfalls Kapitalertragssteuer (plus Solidaritätszuschlag und eventuell Kirchensteueranteil) zu entrichten. Es werden zudem keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abgezogen. Geld kann man nach eigenem Gusto verbrauchen - peu à peu jeden Monat (quasi wie eine Zusatzrente) oder einmalig in Form einer ausgedehnten Weltreise. Selbstverständlich kann man es genauso gut profitabel anlegen, die Niedrigzinsphase wird hoffentlich nicht ewig anhalten. Jedenfalls ist man damit viel flexibler als mit der Rente.

Eines sollte man sich immer vor Augen halten: Niemand hat Geld zu verschenken - nicht einmal die Deutsche Rentenversicherung. Alles hat demnach irgendwo einen Haken.

----------

[1] Deutsche Rentenversicherung, Ausgleich von Rentenabschlägen, Fakten zum flexibleren Renteneinstieg