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| Impressum 30. März 2019, von Michael Schöfer Verdient Greta Thunberg den Friedensnobelpreis? "Die ältere Generation hat versagt", beklagt die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg bei den Fridays for Future-Protesten in Berlin. Und sie hat vollkommen recht, wir Älteren haben tatsächlich versagt. Die Internationale Energieagentur (IEA) legte gerade den "Global Energy & CO2 Status Report 2018" vor, und danach sind die globalen CO2-Emissionen im vergangenen Jahr um 1,7 Prozent gestiegen. Damit haben sie ein neues Rekordniveau erreicht, die Menschheit bläst nun 33 Mrd. Tonnen in die Atmosphäre. [1] Eigentlich müsste der CO2-Ausstoß drastisch sinken. Die Messungen der National Oceanic & Atmospheric Administration (NOAA) auf dem Mauna Loa/Hawaii bestätigen den Trend: Im Februar 2019 registrierte sie dort den höchsten jemals gemessenen CO2-Anteil in der Atmosphäre, nun sind es schon 411,94 ppm (parts per million). Zum Vergleich: Im März 1958, zu Beginn der Messreihe, waren es lediglich 315,71 ppm. [2] Anstatt zu sinken, steigen die Treibhausgase rapide an, in den letzten 60 Jahren sage und schreibe um 30 Prozent. Mit den entsprechenden Folgen: Das NASA Goddard Institute for Space Studies (GISS) zeichnet die Messdaten der globalen Durchschnittstemperatur auf, und die ersten beiden Monate 2019 waren die drittwärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1880 (nur 2016 und 2017 waren, weil vom El Niño-Effekt überlagert, wärmer). [3] Das sind jedenfalls die Fakten, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Da sich auch das Artensterben beschleunigt hat, neben zahlreichen Wirbeltierarten ist vor allem der Rückgang der Insekten dramatisch, lässt das Ganze nur einen vernünftigen Schluss zu: Wenn die Menschheit nicht rasch umsteuert, läuft sie geradewegs auf den Kollaps zu, sie rennt unweigerlich in ihr Verderben. Und da wir das seit mindestens 40 Jahren wissen, allerdings ohne daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und unser Verhalten zu ändern, kann man Greta Thunberg nur uneingeschränkt zustimmen: Wir haben es vergeigt. Wir gefährden die Zukunft der jungen Generation, die die Folgen unserer Ignoranz ausbaden muss, wenn wir Älteren (die Verursacher) längst tot sind. Wir haben es u.a. deshalb vergeigt, weil wir mehrheitlich Blender gewählt haben. Ein Beispiel: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bezeichnete Bienen vor einem Jahr als "systemrelevant". Sie zu schützen, sei im Interesse aller. Und sie fügte hinzu: "Was für Bienen schädlich ist, muss weg vom Markt." [4] Doch nun hat das ihr unterstellte Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) den Einsatz eines insektenschädlichen Pestizids erlaubt, das ein Neonicotinoid enthält und für Bienen tödlich ist. [5] Reden und Handeln klaffen himmelweit auseinander. Die ewig lächelnde Bienenschützerin ist in Wahrheit keine. Genauso wenig wie die Klimakanzlerin das Klima schützt. Alles nur Sonntagsreden fürs geneigte Publikum. Die Fridays for Future-Proteste beschämen uns, weil sich die Menschheit bislang im Zweifelsfall stets gegen die Umwelt entschieden hat. Gegen eine Umwelt, ohne die der Homo sapiens aber gar nicht existieren kann. Doch das beherzigt noch immer bloß eine Minderheit. Reden und Handeln klaffen nicht nur bei den Politikern himmelweit auseinander. Wir feiern gerade eine rauschende Party auf der Titanic und tanzen beschwingt nach den Klängen des Orchesters. Dass tief unter uns bereits die Schotten brechen, wird geflissentlich überhört. Aber es steht schon jetzt fest, die Party wird nicht ewig dauern. Bitte beschweren Sie sich nicht, wenn es bald rasch abwärts geht. Als man Sie aufforderte, in die Rettungsboote zu steigen, hatten Sie gerade Besseres zu tun - etwa den neuen SUV zu besichtigen oder die nächste Flugreise zu buchen. Ob Greta Thunberg den Friedensnobelpreis verdient? Zweifellos, aber wichtiger als sie zu ehren wäre, ihren Forderungen nachzukommen. ----------
[1]
IEA,
Global Energy & CO2 Status Report
[2]
NOAA, Trends in Atmospheric Carbon
Dioxide
[3]
GISS, Global Land-Ocean Temperature
Index
[4]
Die Welt-Online vom 23.03.2018
[5] Süddeutsche vom 28.03.2019
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