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02. April 2019, von Michael Schöfer
Eine wahre Herkules-Aufgabe


Waren Sie schon einmal in Mannheim und sind durch die Straßen geschlendert? Wenn ja, was haben Sie dort gesehen? Bestimmt jede Menge Autos - nicht nur fahrende, sondern vor allem am Straßenrand abgestellte. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes gibt es im Stadtkreis 149.700 Pkw (Stand 01.01.2018), aber die wenigsten Pkw-Besitzer dürften über eine eigene Garage oder einen Tiefgaragen-Stellplatz verfügen. [1] Mannheims Wohngebiete sind jedenfalls vollgeparkt, da stehen die Autos dicht an dicht. Parkplätze sind Mangelware.

"Wir wollen für die Bürger Ladepunkte und deren Einbau in der eigenen Garage zur Hälfte fördern. Dafür brauchen wir sofort eine Milliarde Euro", sagt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. [2] Klingt zwar auf den ersten Blick ganz gut, doch genau besehen plant er damit am Bedarf vorbei. Der ökologische Umbau unseres Verkehrssystems muss zugleich sozial sein, oder er wird keine Akzeptanz finden (siehe Gelbwesten-Proteste in Frankreich). Und das Elektroauto muss den Massenmarkt bedienen, oder die Verkehrswende wird ausbleiben.

Auf Deutschlands Straßen sollen nach dem Willen der Bundesregierung im Jahr 2020 eine Million Elektroautos herumfahren, doch das wird kaum zu schaffen sein. 2018 wurden hierzulande nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes gerade mal 36.062 Elektro-Pkw neu zugelassen (reine Elektro-Pkw, ohne Hybrid-Pkw) [3], und am 1. Januar 2019 gab es im gesamten Bundesgebiet lediglich 83.175 Elektro-Pkw im Bestand [4]. Wohlgemerkt: 83.175 von 47,1 Millionen (= ein Anteil von 0,18 %). Gemessen am heutigen Tempo bräuchte die Bundesregierung noch etliche Jahre, um ihr selbstgestecktes Ziel zu erreichen. Anders ausgedrückt: Da ist noch viel Luft nach oben, wenngleich die Zulassungen von Elektrofahrzeugen stark zulegen (2018: +43,9 %).

VW will in den nächsten zehn Jahren 22 Millionen Elektroautos bauen, 70 neue Modelle sollen den Markt erobern. Das ist löblich, doch wer soll die kaufen? Nur die Chinesen? Durch die Massenproduktion werden die Stromer sicherlich billiger zu haben sein als heute, aber dazu muss man die Fahrzeuge auch massenhaft an den Mann respektive die Frau bringen. Das eine (niedrige Kosten) bedingt notwendigerweise das andere (Massenproduktion). Ergo muss die Bundesregierung vor allem die zahlreichen Laternenparker überzeugen, denn ohne sie wird das mit den anvisierten Verkaufszahlen nicht klappen.

Laut dem Ladesäulenregister des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gibt es derzeit in Mannheim fünf öffentlich zugängliche Ladestationen mit insgesamt acht Ladepunkten (Steckdosen). [5] Mannheim hat allerdings knapp 319.000 Einwohner (Stand 31.12.2017). Selbst wenn die alle ihre Benziner/Diesel peu à peu durch ein Elektroauto ersetzen würden: Wo sollen sie es aufladen? Angesichts der Ladezeiten, sogar an Schnellladestationen dauert der Ladevorgang bis zur 80 Prozent-Kapazität 30 bis 60 Minuten, reichen ein paar Ladepunkte für den Massenbedarf keinesfalls aus. Und da reden wir noch nicht einmal über passende Stecker und funktionierende Abrechnungssysteme.

Eine Million Elektroautos sind gemessen am heutigen Bestand 2,1 Prozent, übertragen auf Mannheim würde das 3.144 Elektroautos bedeuten. Das beliebteste Elektroauto ist momentan der Renault ZOE, bei einer Batteriekapazität von 41 kWh braucht ein kompletter Ladezyklus (0-100 %) an einem der Mannheimer 22kW-Ladepunkte immerhin 2 Std. 40 Min, eine Aufladung bis zur 80 Prozent-Kapazität 1 Std. 40 Min. [6] Wäre ein Ladepunkt rund um die Uhr belegt, aber wer lädt sein Fahrzeug schon mitten in der Nacht dort auf, könnte man an ihm in 24 Stunden 9 Renaults vollladen. Alle acht Mannheimer Ladepunkte haben demnach eine rechnerische Kapazität von 72 Elektroautos (bei Teilaufladungen vielleicht doppelt oder dreifach so viele). Um 3.144 Elektroautos im Alltagsbetrieb zu versorgen, müsste man die Anzahl der Ladepunkte drastisch erhöhen. (Wobei, wenn Sie mich fragen, selbst 60 Min. Ladezeit unzumutbar sind.)

Noch einmal: Die Bundesregierung will eine Million Elektroautos herumfahren sehen, VW will 22 Millionen Elektroautos bauen. Es soll also nicht gekleckert, sondern geklotzt werden. Die Ladeinfrastruktur bleibt freilich weit hinter solch hohen Ansprüchen zurück. Logische Konsequenz: Entweder es stehen demnächst überall in den 1.771 Straßen Mannheims am Straßenrand ausreichend Ladesäulen (zum Aufladen über Nacht) zur Verfügung, oder man kann das mit dem Massenmarkt vergessen. Das Ganze ist daher eine wahre Herkules-Aufgabe.

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[1] Statistisches Landesamt, Kraftfahrzeuge in Baden-Württemberg 2018, PDF-Datei mit 420 kb
[2] tagesschau.de vom 31.03.2019, Hervorhebung von mir
[3] Kraftfahrt-Bundesamt vom 04.01.2019, Pressemitteilung Nr. 01/2019- Fahrzeugzulassungen im Dezember 2018 - Jahresbilanz
[4] Kraftfahrt-Bundesamt, Jahresbilanz des Fahrzeugbestandes am 1. Januar 2019
[5] Ladestation Otto-Hahn-Straße = 1 Ladepunkt; Ladestation Rollbühlstraße 64 = 2 Ladepunkte; Ladestation Theodor-Kutzer-Ufer 1 = 2 Ladepunkte; Ladestation Q 6, 3 = 1 Ladepunkt; Ladestation E 5, 1 = 2 Ladepunkte
[6] Renault Deutschland AG, Alle Infos zum ZOE: Reichweite, Aufladen und Ladezeiten