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05. April 2019, von Michael Schöfer
Das Brexit-Chaos geht weiter


Übertragen auf ein Fußballspiel befinden wir uns bereits in der Nachspielzeit der Nachspielzeit. Nun will Theresa May doch mit Oppositionsführer Jeremy Corbyn sprechen. Endlich, das hätte sie schon vor zwei Jahren tun sollen. Die alles entscheidende Frage ist: Was werden die Gespräche bringen? Da die Labour-Party nach dem Brexit eine Zollunion mit den verbliebenen EU-27 anstrebt, müsste die Premierministerin dafür die Spaltung ihrer eigenen Partei in Kauf nehmen. Für die Tory-Hardliner wäre nämlich eine Zollunion absolut inakzeptabel, weil Großbritannien als Mitglied einer Zollunion keine eigenen Handelsverträge mit Drittstaaten abschließen darf. Gerade das sollte ja das Ziel des Brexit sein: die Rückgewinnung der Souveränität.

In einer Zollunion gelten nur die Zolltarife, die von der EU-Kommission vorgeschlagen und vom Europäischen Rat (den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten) festgelegt werden. Die Briten müssten die Zölle einhalten, ohne sie aushandeln zu können, denn sie sind ja draußen. Friss oder stirb. Das Modell Norwegen wäre für die Tory-Hardliner sogar noch wesentlich schlimmer, weil die Briten in diesem Fall die Rechtsakte der EU akzeptieren müssten, dazu zählen u.a. der EU-Vertrag, die Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse der EU-Organe sowie die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs. Und das alles ebenfalls ohne jeglichen Einfluss. Bei diesem Modell gäbe es für die Briten noch viel weniger Souveränität. Die Zustimmung zu Letzterem würde selbst gemäßigten Tories schwerfallen. Kann man sich vorstellen, dass eine Minderheit der Tories gemeinsam mit Labour für die Zollunion stimmt? Und welchen Preis wird Corbyn dafür verlangen, wenn er Theresa May aus der Patsche hilft? Etwa baldige Neuwahlen?

May hat die EU um einen Aufschub des Austritts bis zum 30. Juni gebeten, doch wie wahrscheinlich ist, dass bis dahin der Durchbruch gelingt? Im Unterhaus gab es bislang lediglich eine Mehrheit gegen den ungeregelten Brexit, alle anderen Optionen, darunter eine Zollunion, wurden abgelehnt. Die EU ist offenkundig uneins, wie man auf die Bitte Mays reagieren soll. Ratspräsident Donald Tusk kann sich eine Verlängerung von bis zu einem Jahr vorstellen, doch er bekommt prompt Gegenwind zu spüren. Ende Mai sind bekanntlich Europawahlen, eine Verschiebung des Brexit ist daher heikel. Nehmen wir an, die EU treibt es auf die Spitze, lehnt die Bitte um einen Aufschub ab und setzt der Premierministerin damit die Pistole auf die Brust. Dann bleiben Theresa May eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder sie bekommt, wie auch immer, bis zum 12. April ein Abkommen hin. Oder sie nimmt den Austrittsantrag gleich ganz zurück, die Briten blieben demnach weiterhin Mitglied der EU. Die Alternative wäre der harte Brexit, den fast keiner will. Ein Vabanquespiel, sollten die Verantwortlichen der EU genau darauf spekulieren. Welche innenpolitischen Konsequenzen das wiederum für das Vereinigte Königreich nach sich ziehen würde, ist angesichts der verhärteten Fronten vollkommen offen, schließlich würde man so das EU-Referendum vom 23. Juni 2016 auf kaltem Wege aushebeln.

Eines der Hauptprobleme des Brexit ist die Situation auf der irischen Insel, allerdings ist es durchaus lösbar. Das Karfreitagsabkommen von 1998 lässt nämlich eine Volksabstimmung über die Wiedervereinigung ausdrücklich zu, erforderlich ist die Zustimmung einer Mehrheit der nordirischen Bevölkerung. Give Ireland back to the Irish - und voilà, das Problem löst sich in Luft auf. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass es tatsächlich zu einem Referendum in Nordirland kommt, schon allein wegen den nordirischen Protestanten. Anscheinend weiß niemand einen Ausweg aus der verfahrenen Situation, irgendjemand müsste dazu über seinen Schatten springen. Doch wer? Man liest oft, dass es in bestimmten Situationen nur die Wahl zwischen Pest und Cholera gebe. In Großbritannien trifft das tatsächlich zu. Wie man es dreht und wendet, es scheint nur schlechte Lösungen zu geben. Das Brexit-Chaos geht also vermutlich weiter.