Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



25. April 2019, von Michael Schöfer
Ein unappetitliches Thema


Nichts hat Bestand, in unserer Welt ist alles vergänglich. Wenn ein Mensch das Zeitliche segnet, muss man seine Überreste, nun ja, beseitigen. Wird er nicht verbrannt, vermodert er irgendwo. In Deutschland, wo alles seine Ordnung hat, meist auf dem Friedhof 1,8 bis 2,2 m unter der Erde. Doch das soll uns hier nicht interessieren. Womit wir uns stattdessen befassen wollen, sind die verfaulenden Überreste, die der Mensch zu Lebzeiten hinterlässt. Und das ist nicht wenig. In der Regel gilt ja: Aus dem Auge, aus dem Sinn. Machen wir doch einfach mal so, als bliebe der Müll vor Ort.

Ein konkretes Beispiel: In dem Haus, in dem ich wohne, gibt es zwei Restmülltonnen, die einmal pro Woche geleert werden (siehe Bild). Jede Tonne fasst 240 Liter und ist 110 cm hoch. Da in meinem Haus 10 Mietparteien mit insgesamt 13 Personen wohnen, sind die Mülltonnen am Abholtag stets voll bis obenhin. Würde man die Restmülltonnen eines ganzen Jahres aufeinanderstapeln, ergäbe das eine Mülltonnensäule von 114,40 m Höhe. Seit ich hier wohne, und das sind mittlerweile schon 35 Jahre, hat unser Haus somit eine Mülltonnensäule von 4 km Höhe produziert. Nicht ganz so hoch wie das Matterhorn (4.478 m), aber trotzdem recht beeindruckend. Und weil sich in meiner Wohngegend ein Mehrfamilienhaus an das andere reiht, hat wohl jedes Haus ungefähr die gleiche Menge Müll entsorgt. Anders ausgedrückt: Der gesamte Stadtteil sähe aus wie die Alpen - bloß halt anstelle von mächtigen Bergen mit hohen Mülltonnensäulen gespickt.



Rechnet man den Müllberg unseres Hauses auf ganz Deutschland hoch, wären wir keine Nation der Dichter und Denker, sondern eine der übelriechenden Mülltonnen. Randvoll mit langsam zersetzendem Müll. Ekelhaft. Würde man die Mülltonnen aller 83 Mio. Einwohner Deutschlands aufeinanderstapeln, ergäbe das in einem einzigen Jahr eine Mülltonnensäule mit einer Höhe von sage und schreibe 730.400 km. Unglaublich. Zum Vergleich: Der Mond ist im Mittel lediglich 384.400 km von der Erde entfernt. Ein anderes anschauliches Beispiel: Dem Umweltbundesamt zufolge wog hierzulande im Jahr 2016 allein der Hausmüll (über die öffentliche Müllabfuhr eingesammelt) 14,6 Mio. Tonnen. Ein VW Golf VI wiegt zwischen 1,2 und 1,6 Tonnen, der Hausmüll der Deutschen wog also genauso viel wie 10,43 Mio. VW-Golf. Ergebnis: Das Äquivalent des gesamten Jahresabsatzes des Volkswagen-Konzerns landete auf dem Müll (2018 weltweit 10,83 Mio. Fahrzeuge).

Das Prinzip "aus dem Auge, aus dem Sinn" vermittelt uns einen völlig falschen Eindruck. In Wahrheit vergeuden wir jede Menge Ressourcen und produzieren viel zu viel Müll. Nur weil der Müll regelmäßig abtransportiert wird, fällt uns seine gewaltige Menge nicht auf. Dennoch hat das Ganze naturgemäß Auswirkungen auf die Umwelt. Dabei ist der Hausmüll in Deutschland global gesehen noch das geringste Problem, weil er zumindest teilweise vorschriftsmäßig entsorgt wird. Wie die allgegenwärtigen Plastikteilchen belegen, ist das jedoch eine Ausnahme. Von einer konsequenten Müllvermeidungsstrategie sowie einer echten Kreislaufwirtschaft sind wir nach wie vor weit entfernt.