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25. April 2019, von Michael Schöfer
Ausgerechnet ein Grüner! Unerträglich!


"Ist man ein Rassist, wenn man rassistische Dinge sagt", wird Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld, gefragt. Und er antwortet: "Eindeutig ja, wenn es rassistisch ist, was man sagt." Es sei Konsens, "dass Rassismus eine Ideologie ist, die Individuen, Gruppen und Gesellschaften teilen und die dazu dienen, Gruppen auf der Grundlage scheinbarer natürlicher und vor allem kaum änderbarer Merkmale abzuwerten, oder auch Menschen abzuwerten, weil sie bestimmten Gruppen angehören." [1]

Nach dieser Lesart ist der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) ein Rassist (oder ziemlich nah dran), denn er beklagt sich auf seinem Facebook-Account über ein Bild auf der Startseite der Deutschen Bahn. Palmer fragt provokant: "Welche Gesellschaft soll das abbilden?" Gegenüber dem SWR präzisiert er: "Ich frage mich, warum von fünf Personen, die auf der Startseite der Deutschen Bahn abgebildet sind, keine so wie ich ohne Migrationshintergrund ist, sondern alle einen Migrationshintergrund haben und man es bei den meisten beim Anblick auch vermutet. Dafür kann es gute Gründe geben, aber ich finde, darüber muss man auch diskutieren." [2]

Ein Migrationshintergrund muss bei Palmer etwas Negatives sein, denn warum sonst will er unbedingt darüber diskutieren? Ist das für ihn tatsächlich relevant? Wobei der Begriff ohnehin recht fragwürdig ist, das wird gerade beim früheren Formel 1-Weltmeister Nico Rosberg deutlich, der ebenfalls auf dem Bild der Bahn zu sehen ist. Rosbergs Geburtsort ist Wiesbaden, und er hat eine deutsche Mutter. Sieht man ihm seinen "Migrationshintergrund" überhaupt an? Eigentlich nicht, denn Rosbergs Haarfarbe ist blond und seine Augenfarbe grau-grün (äußerlich für manche sogar der Prototyp eines Bio-Deutschen). Rosbergs Herkunft wird einem nur klar, wenn man weiß, dass sein Vater Keke Rosberg aus Finnland kommt. Was ist daran so schlimm? Und was ist daran diskussionswürdig? Das spielt nur eine Rolle, wenn man der Herkunft einen Wert beimisst, der etwas über die Person aussagt. Etwas Ähnliches war ehedem Kern der Rassenideologie der Nazis.

Palmer hat sich auch an den Bildern von Nelson Müller und Nazan Eckes gestört. Nelson Müller ist zwar in Ghana geboren und zugegebenermaßen weder hellhäutig noch blauäugig, hat aber dennoch die deutsche Staatsangehörigkeit. Nazan Eckes' Eltern kommen zwar ursprünglich aus der Türkei, deren Tochter kam jedoch in Köln zur Welt. Auch sie ist deutsche Staatsangehörige. Die entscheidende Frage lautet: Wann ist man Teil der Gesellschaft? Palmers Definition scheint von der des Grundgesetzes abzuweichen. An Menschen, deren Wurzeln im Ausland zu finden sind, muss ihm zufolge etwas anhaften, das nicht einmal durch einen deutschen Pass kompensiert wird.

Es gehört freilich zu den Grundlagen unserer Demokratie, dass jeder, der die Staatsangehörigkeit besitzt, Deutscher ist - unabhängig davon, woher er kommt, von wem er abstammt und wie er aussieht. Es gibt keine Deutschen erster (ohne Migrationshintergrund) und zweiter Klasse (mit Migrationshintergrund). Es gibt nur Deutsche. Punkt. Alles andere ist in der Tat rassistisch, weil an ethnischen Kriterien ausgerichtet. Muss man den Oberbürgermeister einer der ältesten Universitätsstädte Deutschlands wirklich auf die Verfassung hinweisen? "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (…) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." (Artikel 3 GG) Fast wortgleich übrigens die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Artikel 20 und 21), die hierzulande ebenfalls bindendes Recht ist. Vom Amtseid der Oberbürgermeister ganz zu schweigen: "Ich schwöre, dass ich mein Amt nach bestem Wissen und Können führen, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die Landesverfassung und das Recht achten und verteidigen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde."

Offenbar hat Boris Palmer Nachhilfestunden nötig. Ausgerechnet ein Grüner! Unerträglich! Hätte er den Kommentar auch geschrieben, wenn auf dem Bild der Bahn ein orientalisch aussehender Jude mit Kippa zu sehen gewesen wäre? Palmer liegt ganz auf der Linie der AfD, von der er prompt Beifall erhält. Die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) "bekommt von der gesamten AfD-Fraktion zugerufen, sie dürfe sich nicht zur Erinnerungskultur äußern, weil sie nicht in Deutschland geboren sei. Meine Damen und Herren, so geht Rassismus." (FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke) [3] Aras wird Palmer wohl kaum für seinen "Diskussionsbeitrag" beglückwünschen, vielmehr dürften ihr die zugrundeliegenden Motive bekannt vorkommen, denn im Landtag muss sie sich ständig mit den perfiden Attacken der AfD auseinandersetzen.

Doch selbst wenn die Abgebildeten keine Deutschen wären, würde die Werbung der Deutschen Bahn trotzdem die Realität unserer Gesellschaft widerspiegeln. "Tübingen ist eine internationale Stadt: Hier leben Menschen aus mehr als 140 Nationen. Etwa ein Viertel der Einwohnerinnen und Einwohner hat einen Migrationshintergrund. Ein gelingendes Miteinander in Vielfalt und der gleichberechtigte Zugang aller zu kommunalen Dienstleistungen und Angeboten wie Bildung, Arbeit, Gesundheit und Kultur sind wesentliche Anliegen der Stadtverwaltung. (…) Integration ist eine Aufgabe für sämtliche Bereiche des kommunalen Handelns. Sie erfordert nicht nur Lern- und Öffnungsprozesse von zugewanderten Menschen, sondern auch von der aufnehmenden Stadtgesellschaft." [4] Vermutlich hat sich Boris Palmer schon lange nicht mehr auf der Website seiner Stadt umgesehen, unter Umständen hätte er dort einiges gelernt.

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[1] tagesschau.de vom 16.01.2018
[2] SWR vom 24.04.2019, Video mit 6,1 MB
[3] Stuttgarter Nachrichten vom 06.01.2019
[4] Stadt Tübingen, Integration