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| Impressum 10. Mai 2019, von Michael Schöfer Alles eine Frage der Darstellung Es ist von einem "Haushaltsloch" die Rede, allein dem Bund würden fast 71 Mrd. Euro "fehlen". Klingt ziemlich ernst. Und in den beigefügten Schaubildern präsentiert man uns einen dramatischen Rückgang. Was hat sich geändert? Genaugenommen nicht allzu viel, es wurde lediglich die Prognose des Arbeitskreises Steuerschätzung nach unten korrigiert. Die Erwartungen sind jetzt nicht mehr ganz so hoch wie im November 2018. Allerdings ist es keineswegs so, dass die Steuereinnahmen tatsächlich sinken. Im Gegenteil, auch nach der jüngsten Prognose steigen sie weiter an. Bekanntlich ist alles eine Frage der Darstellung. Grafik 1 steht in der Süddeutschen Zeitung auf Seite 2 der Printausgabe von heute. Grafik 2 gibt hingegen den Verlauf der Steuereinnahmen aufgrund der korrigierten Steuerschätzung wieder, danach steigen die des Bundes in den nächsten fünf Jahren gegenüber dem Ist-Stand von 2018 voraussichtlich um 11,8 Prozent (im Durchschnitt 2,35 % pro Jahr). Letztere druckt die SZ freilich nicht. Beide beruhen auf den gleichen Zahlen, doch die in Grafik 1 wirken wesentlich negativer, weil sie sich auf die offenbar unrealistischen Erwartungen vom November letzten Jahres beziehen. Die sind nunmehr geringer als damals. Grafik 1 zufolge geht es abwärts, Grafik 2 zufolge aufwärts. Größer könnte die Diskrepanz nicht sein. ![]() Grafik 1: vermeintlich sinkende Steuereinnahmen des Bundes ![]()
Grafik 2: trotz Korrektur weiterhin
steigende Steuereinnahmen
Man
sagt, Wirtschaft sei zu 50 Prozent Psychologie. Wenn man den
Fokus der Menschen auf "Haushaltslöcher" und
"Steuermindereinnahmen" lenkt, braucht man sich wahrlich nicht
zu wundern, wenn daraufhin der Pessimismus die Oberhand
gewinnt. Viele lesen ja nur die Schlagzeilen, werfen einen
flüchtigen Blick auf Schaubilder oder hören bloß mit halbem
Ohr zu. Und weil die Konsumenten in Erwartung der sich
vermeintlich abzeichnenden Krise ihr Geld vorsorglich
zusammenhalten, bricht die Wirtschaft vielleicht sogar
tatsächlich ein. Das nennt man gemeinhin eine self-fulfilling
prophecy (selbsterfüllende Prophezeiung). Später sagen dann
die Journalisten: "Voilà, wir haben es ja gewusst."
Natürlich muss man nun die ungedeckten Ausgabenwünsche ebenfalls korrigieren. Nicht alles, was noch vor kurzem als bezahlbar galt, ist durch die prognostizierten Einnahmen gedeckt. Aber die Situation ist in Wahrheit viel weniger dramatisch als vielfach dargestellt. Wenn meine Einnahmen steigen, nur eben nicht so stark wie ursprünglich von mir erwartet, ist das noch lange kein Beinbruch. Letzteres wäre nur der Fall, sollten die Einnahmen wirklich sinken. Doch das wird zumindest nach dem aktuellen Stand ausbleiben. |