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01. Juni 2019, von Michael Schöfer
Die rechten Quacksalber


Rechtspopulisten haben es nicht so mit Fakten, und das betrifft nicht bloß den Klimawandel, den sie häufig als "Klimahysterie" diffamieren. Fakten wie die Absorption von Wärmestrahlung, Messdaten über den CO2-Gehalt in der Erdatmosphäre, die globale Durchschnittstemperatur oder die Höhe des Meeresspiegels werden dabei geflissentlich ignoriert. Ignoranz wird bei ihnen geadelt, sie sind sogar stolz darauf. Ach, kommen Sie mir doch nicht mit Fakten! Rechtspopulisten suhlen sich geradezu in ihrer Unkenntnis. Neudeutsch bezeichnet man das als Filterblase.

Resistent gegenüber Fakten zeigen sie sich insbesondere bei ihrem Hauptthema, der vermeintlichen Überfremdung. Ein Beispiel aus Österreich, unserem Nachbarland im Süden: Der übers Ibiza-Video gestolperte ehemalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache faselte noch kurz zuvor (ausgerechnet in einem Interview mit der Kronen Zeitung) vom angeblich stattfindenden "Bevölkerungsaustausch". [1] Eine bei Rechtsextremisten äußerst beliebte Verschwörungstheorie. Immerhin hat er es trotz seiner kruden Weltsicht zum Vizekanzler gebracht. Zumindest temporär.

Doch die Fakten sagen etwas anderes: Die meisten Ausländer in Österreich kommen nämlich aus Deutschland, am 01.01.2019 waren das exakt 192.426 von insgesamt 1,44 Mio. Menschen. Knapp die Hälfte der Ausländer in Österreich kommt aus den anderen 27 EU-Mitgliedstaaten, türkische Staatsangehörige sind nur 117.231 (= 8,15 % der Ausländer und 1,32 % der Bevölkerung). [2] 2016 lebten rund 700.000 Muslime in Österreich, das waren damals ganze 8 Prozent der Bevölkerung (im Wesentlichen Eingebürgerte und Ausländer aus der Türkei und den Balkanstaaten). Doch selbst bei starker Zuwanderung würden Muslime nach einer Studie des Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auf absehbare Zeit in der Minderheit bleiben. Je nach angenommenem Zukunftsszenario sind es 2046 zwischen 12 und 21 Prozent. [3] Katholiken bleiben mit Abstand die größte Religionsgruppe, gefolgt von den Konfessionslosen.

Nichtsdestotrotz gelingt es der FPÖ, in Österreich große Angst vor Muslimen zu verbreiten. Inzwischen wurde dort sogar per Gesetz ein Kopftuchverbot an Grundschulen erlassen, die jüdische Kippa ist davon freilich ausgenommen. Ein Gesetz, das ausschließlich Muslime treffen soll. [4] Sondergesetze, die eine bestimmte Religionsgemeinschaft diskriminieren - damit haben Deutschland und Österreich keine guten Erfahrungen gemacht. Doch Rechtspopulisten sind auch im Geschichte ignorieren groß, vor allem wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht. Von der rechtlichen Zulässigkeit ganz zu schweigen, denn Österreich ist von der Gültigkeit der Charta der Grundrechte keineswegs enthoben.

Nun liegen neue Zahlen auf dem Tisch, die den Thesen der Rechtspopulisten abermals widersprechen: Nach Angaben von Statistik Austria zogen mehr Menschen von Österreich in die Türkei als andersherum. "3.549 Personen sind 2018 aus dem Mittelmeerstaat zugewandert, 3.825 Personen den umgekehrten Weg gegangen", schreibt Der Standard. [5] Der negative Wanderungssaldo ist zwar ein Novum, hat sich aber seit längerem abgezeichnet. Seit Beginn des Jahrtausends ist die Zuwanderung aus der Türkei kontinuierlich gesunken, während die Fortzüge in die Türkei leicht anzogen. Auch der Bevölkerungsanteil mit türkischem Migrationshintergrund geht neuerdings zurück. Und die Gesamtfertilitätsrate (Fruchtbarkeitsziffer) der in Österreich lebenden türkischen Staatsbürgerinnen sinkt genauso wie die Zahl der Schulanfänger mit türkischer Muttersprache. Wenn man einen "Bevölkerungsaustausch" plant, ist das definitiv die falsche Taktik.

Angesichts dessen drängt sich die Frage an die Rechtspopulisten förmlich auf: Wovor fürchtet ihr euch eigentlich? Eure Thesen schüren zwar die Angst, können sich aber nicht auf nachprüfbare Fakten stützen. Eure Angst ist demzufolge völlig unbegründet. Das Gleiche war ja schon beim Schweizer Minarett-Referendum festzustellen. Eine Mehrheit der Schweizer Staatsbürger sprach sich 2009 in einer Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten aus, allerdings waren dort zu jener Zeit lediglich 5,2 Prozent der Bevölkerung Muslime. [6] Zweifelsohne grotesk.

Faktenresistenz erleben wir hierzulande auch bei der AfD. Ich behaupte keineswegs, dass Zuwanderung generell problemfrei wäre, so sind Parallelgesellschaften und Clankriminalität sicherlich besorgniserregend, aber die Hauptprobleme der Menschheit sind ganz woanders zu suchen: bei der extrem ungleichen Verteilung des Reichtums, beim rasch voranschreitenden Artensterben, beim schier unaufhaltsam erscheinenden Klimawandel und den zahlreichen militärischen Konflikten. Die ungeordnete Zuwanderung, vor der sich die meisten zu Recht fürchten, weil sie die Aufnahmekapazität der stärksten Gesellschaft überfordert, ist in Wahrheit bloß eine Folge dieser Ursachen.

Aber zur Ursachenbekämpfung haben die Rechtspopulisten herzlich wenig beizutragen, sie doktern lieber an den Symptomen herum anstatt gegen die Krankheit vorzugehen. Was macht ein Arzt, zu dem ein Kranker kommt, als Erstes? Genau, zunächst die Fakten ermitteln. Was liegt überhaupt vor? Erst danach kümmert er sich um die Therapie. Doch wer sich weigert, Fakten zur Kenntnis zu nehmen oder diese sogar leugnet, bringt es erfahrungsgemäß nur zum Quacksalber. Die behandeln bekanntlich von Fakten völlig ungetrübt einfach drauflos. Ob die Kranken dadurch gesund werden, darf man jedoch bezweifeln. Im schlimmsten Fall sterben sie daran.

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[1] Kronen Zeitung vom 28.04.2019
[2] Statistik Austria, Bevölkerung zu Jahresbeginn 2002-2019 nach detaillierter Staatsangehörigkeit, PDF-Datei mit 28 kB
[3] Die Presse vom 04.08.2017
[4] tagesschau.de vom 16.05.2019
[5] Der Standard vom 31.05.2019
[6] siehe Das Schweizer Minarett-Referendum vom 01.12.2009