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02. Juni 2019, von Michael Schöfer
Dieser Hühnerhaufen ist vollkommen unfähig


"Allein schon die Lage in Europa erfordert meiner Ansicht nach eine stabile Regierung in Deutschland", sagt der SPD-Politiker Nils Schmid. [1] Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der Auffassung: "Deutschland braucht eine stabile Regierung." [2] Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzt sich ebenfalls für eine stabile Regierung ein und erwartet von den Parteien Gesprächsbereitschaft. [3] Diese Äußerungen sind allerdings nicht aktuell, sondern stammen aus dem Jahr 2017. Stabilität ist das, was Politikern einfällt, wenn sie nicht mehr weiter wissen.

Nach dem Rücktritt der SPD-Parteivorsitzenden Andrea Nahles hört man erneut das immer gleiche Argument: Deutschland braucht angeblich nichts so sehr wie eine stabile Regierung. Vor dem Hintergrund der heutigen Herausforderungen müsse die deutsche Regierung stabil sein, betont zum Beispiel der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus in der ARD. "In diesen Zeiten eine Regierungskrise zu haben, das macht keinen Sinn." Jetzt komme es nicht darauf an, "wer wann an die Regierung kommt, sondern dass wir unserem Land am besten dienen." [4] Eine Prise Pathos darf natürlich nie fehlen. Neuwahlen will er keine, schließlich seien die Regierungsparteien bis 2021 gewählt.

Ständig dieses substanzlose Politikersprech. Macht denn eine Regierungskrise überhaupt jemals Sinn? Dafür ist nie der passende Zeitpunkt, die kommt immer zur Unzeit. Und wäre dem Land (sprich den Bürgerinnen und Bürgern) nicht eher gedient, wenn es zu Neuwahlen käme? Ob die Regierung stabil ist, mag vielleicht für die Regierungsparteien, die derzeit in den Umfragen stark an Zustimmung verlieren, einen Wert besitzen. Doch bei aller wünschenswerten Stabilität muss man auch fragen: Wozu muss die Regierung eigentlich stabil sein? Bekommt sie denn noch irgendetwas auf die Reihe? Die Bevölkerung hat nämlich den Eindruck, dass in zentralen Politikfeldern nicht mehr allzu viel läuft, daher kommen ja die Verluste bei den Wahlen.

Klimaschutz? Die Regierungsparteien streiten noch immer über das beste Konzept. Und bis dahin geschieht - genau: nichts. Digitalisierung? Der Netzausbau geht wie gewohnt schleppend voran. Verkehrspolitik? Das Ziel, eine Million Elektrofahrzeuge bis 2020 auf die Straßen zu bringen, ist mittlerweile in weite Ferne gerückt. Wohnungsbau? Die fertiggestellten Wohnungen sind 2018 um gerade mal 0,4 Prozent gestiegen. In absoluten Zahlen sind das läppische 1.100 Neubauwohnungen mehr als im Jahr 2017. Wohlgemerkt, die Zahl bezieht sich auf ganz Deutschland, nicht auf eine einzige Stadt. Wollte die Regierung nicht bis zum Ende der Legislaturperiode 1,5 Mio. zusätzliche Wohnungen bauen? Der Mietenwahnsinn geht also munter weiter. Und Europa? Nun, fragen Sie mal Herrn Macron nach der Antwort der Bundesregierung auf seine Vorschläge. Nein, fragen Sie ihn lieber nicht, er wird womöglich wütend. Diese Art von Stabilität haben die Bürgerinnen und Bürger gründlich satt.

Eine stabile Regierung macht im Grunde nur Sinn, wenn sie auch wirklich regiert, d.h. Sachpolitik betreibt. Man hat allerdings den Eindruck, dass das Regieren für die Regierungsparteien zum Selbstzweck verkommen ist. Die Regierung wird wie ein Notfallpatient gerade noch so künstlich am Leben gehalten. Ihren gegenwärtigen Zustand als komatös zu bezeichnen, ist keineswegs unberechtigt. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) fordert die Bundesregierung auf, ihre Arbeit auch nach dem Rücktritt von Nahles weiter zu machen. "Das sei wichtig für das Allgemeinwohl. (...) Laschet nannte als wichtiges Vorhaben den Kohleausstieg." [5] Das hätte er seinen eigenen Parteifreunden sagen sollen, denn in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es massiven Widerstand gegen den Kohleausstieg. Die Empfehlungen der Kohlekommission seien nicht bindend, heißt es dort. Es geht drunter und drüber, in der GroKo herrscht ein heilloses Durcheinander. Dieser Hühnerhaufen ist anscheinend vollkommen unfähig, eine stabile Regierung zu bilden. Jedenfalls eine, in der es um mehr als nur um Posten und Pöstchen geht.

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[1] Stuttgarter Zeitung vom 11.12.2017
[2] NRZ, Funke Medien-Gruppe vom 11.12.2017
[3] Die Welt-Online vom 20.11.2017
[4] tagesschau.de vom 06.02.2019 und ARD-Brennpunkt vom 02.06.2019
[5] RTL vom 02.06.2019