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22. Juni 2019, von Michael Schöfer
Solche Subjekte habe ich bis obenhin satt


"Seit Wochen ist in der indischen Millionenstadt Chennai das Wasser knapp", meldet die Tagesschau. Die Reservoirs sind fast erschöpft, der Grundwasserspiegel sinkt rapide. Ursache sind nachlassende Regenfälle und steigender Verbrauch. Ein fataler Mix. Schon jetzt leiden in Indien "rund 600 Millionen Menschen unter großer bis extremer Wasserknappheit". [1] Schauen Sie sich bitte genau an, was dort passiert, denn so sieht aufgrund des Klimawandels unsere nähere Zukunft aus. Die mehr als 70 Millionen Menschen, die sich momentan laut UNHCR weltweit auf der Flucht befinden, werden gegenüber dem, was sich bald abspielen wird, geradezu ein Klacks sein. Überzogener Alarmismus? Von wegen!

Im Himalaya-Gebirge schmelzen die Gletscher inzwischen doppelt so schnell wie in der Zeit zwischen 1975 und dem Jahr 2000, und von diesem Wasser sind Millionen Menschen abhängig, denn das Schmelzwasser ist neben dem Monsunregen ihre einzige Wasserquelle. "Wie US-Forscher berichten, verlieren die Gletscher seit der Jahrtausendwende jährlich eine 45 Zentimeter dicke Eisschicht. Das sei doppelt so viel wie in den Jahren zwischen 1975 und 2000." [2] Festgestellt wurde das anhand des Vergleichs von alten und neuen Satellitenaufnahmen. "Die von uns beobachteten jährlichen Massenverluste deuten darauf hin, dass von der 1975 vorhandenen Eismasse im Jahr 2000 nur noch 87 Prozent und im Jahr 2016 nur noch 72 Prozent übrig waren", sagt Joshua Maurer von der Columbia University in New York. [3] Das heißt: Der Himalaya hat bereits fast ein Drittel seines gesamten Eises verloren, und das beschleunigte Abschmelzen lässt wahrlich nichts Gutes erwarten.

Die Entwicklung hat "natürlich katastrophale Einflüsse auf die Landwirtschaft und die gesamte alpine Ökologie. Wenn das so weitergeht, wenn wir nichts ändern, nicht eingreifen, in irgendeiner Form, dann wird diese Änderung auch die Hydrologie dieser enormen, riesigen Flüsse, wie im Brahmaputra und Ganges und anderen, die im Himalaya entspringen, beeinflussen. Und dann haben wir eine Katastrophe, die hunderte von Millionen Menschen, die von diese Flüssen abhängen, beeinträchtigen", warnt der Klima-Geochemiker Jörg Schäfer. [4] Zehn der größten Flüsse Asiens (Ganges, Mekong, Indus, Brahmaputra, Jangtse, Yellow, Irrawaddy, Salween, Tarim und Amu Darya) entspringen im Himalaya oder sind von dessen Schmelzwasser abhängig. Rund 2 Milliarden Menschen leben im Einzugsbereich dieser Flüsse. [5] Wenn nur ein Buchteil davon flüchtet, werden wir das unweigerlich zu spüren bekommen. Der SUV-Boom auf unseren Straßen fällt dann gewissermaßen auf uns zurück.

Das forcierte Abschmelzen der Himalaya-Gletscher reiht sich ein in Berichte über das ebenfalls schneller werdende Abschmelzen der Eismassen der Antarktis und Grönlands. Auch der arktische Permafrostboden taut viel stärker auf, als man das noch vor kurzem prognostiziert hat. Letzteres ist besonders gefährlich, weil im Permafrostboden große Mengen Methan (CH4) gespeichert sind. Und Methan ist ein viel wirksameres Klimagas als Kohlendioxid (CO2). Außerdem ist dort viel Biomasse enthalten, die sich beim Auftauen zersetzt und große Mengen CO2 in die Erdatmosphäre entlässt. Der gefürchtete positive Rückkopplungseffekt: Die zunehmende Erwärmung setzt vermehrt Treibhausgase frei, die die Erderwärmung weiter verstärken, was wiederum die Freisetzung von Treibhausgasen antreibt. Ein Effekt, der, sobald der diesbezügliche Kipppunkt überschritten wird, nicht mehr aufzuhalten und somit unumkehrbar ist.

Anders ausgedrückt: Der Klimawandel würde in diesem Fall auch dann weitergehen, selbst wenn die Menschheit ihren Ausstoß an Treibhausgasen auf null reduziert. Deshalb ist es so wichtig, vor Erreichen der Kipppunkte die Erderwärmung zu stoppen. Manche Wissenschaftler befürchten allerdings, dass wir diese gerade überschreiten. Da der globale CO2-Ausstoß ungebremst ansteigt, er hat 2018 mit 33,1 Gigatonnen einen neuen Rekordwert erreicht, sollten wir in unserem eigenen Interesse dringend umsteuern. Das Absorptionspotenzial und damit die Klimawirksamkeit von Molekülen lässt sich übrigens mit einem Spektrometer verlässlich nachweisen.

Leider gibt es immer noch Menschen, die die Fakten einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen und sich obendrein über Greta Thunberg und die von ihr initiierte "Fridays for Future"-Bewegung lustig machen: "Greta-Hysterie", "Greta Thunfisch", "Schulschwänzer-Demo" etc. Sie kommen sich zwar wahnsinnig klug vor, präsentieren uns aber genaugenommen bloß ihre abgrundtiefe Dummheit. An der Studie über den Himalaya haben mehr als 200 Wissenschaftler über fünf Jahre hinweg gearbeitet, weitere 125 Experten haben die Arbeit begutachtet. Und was machen die neunmalklugen Ignoranten? Appellieren an die niederen Instinkte ihrer Mitmenschen und glauben mit offenbar humorvoll gemeinten Aussagen ihre eklatanten Wissensdefizite überspielen zu können. Ho, ho, ho mit Schenkelklopfer-Attitüde. Keine Argumente auf der Pfanne, aber mit einem maliziösen Lächeln ohne Skrupel alles mies machen. Bravo! Zweifelsfrei tolle Hechte.

Und anschließend mit gehässigen Kommentaren über die angeblich verdorbene Jugend herziehen, die natürlich immer alles schlechter macht als die Altvorderen. Wussten schließlich schon die Sumerer: "Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe." (Keilschrifttext ca. 2000 v. Chr.) Solche Subjekte habe ich bis obenhin satt. Sorry, die Wut musste einfach mal raus.

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[1] tagesschau.de vom 22.06.2019
[2] Deutschlandfunk vom 21.06.2019
[3] Focus-Online vom 21.06.2019
[4] Deutschlandfunk vom 20.06.2019
[5] The Guardian vom 04.02.2019, Originalstudie (englisch): Philippus Wester, Arabinda Mishra, Aditi Mukherji, Arun Bhakta Shrestha (Hrsg.), The Hindu Kush Himalaya Assessment, PDF-Datei mit 29 MB