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13. Juli 2019, von Michael Schöfer
Leben wie Gott in Frankreich


Frankreichs Umweltminister François de Rugy (La République en Marche) soll sich Medienberichten zufolge neun Abendessen mit Familie und Freunden gegönnt haben, bei denen Hummer gereicht und 500-Euro-Weine kredenzt wurden. Mouton Rothschild, was sonst? Alles auf Kosten des Staates, versteht sich. In der Privatschatulle eines Ministers herrscht ja bekanntlich meistens gähnende Leere. Da geht es ihm fast so wie den knapp 14 Prozent der Franzosen, die unterhalb der offiziellen Armutsgrenze leben.

Die Hilfsorganisation Secours populaire (Volkshilfe) beklagte im vergangenen Jahr, dass sich laut einer Umfrage 21 Prozent der Befragten keine drei Mahlzeiten am Tag leisten könnten. 27 Prozent hätten nicht genug Geld, um täglich Obst und Gemüse zu essen. Von Hummer und edlen Weinen ganz zu schweigen. Obgleich, ist Letzteres nicht ohnehin furchtbar ungesund? Schließlich muss man das Unglück der Armen nicht auch noch mit aus Fehlernährung resultierenden Krankheiten vergrößern.

De Rugy beteuert, es sei bei den Essen darum gegangen, den "Kontakt mit der Zivilgesellschaft" zu halten, um "die Themen zu verstehen, die das Land beschäftigen". [1] Dafür hat er mein vollstes Verständnis, denn die sozialen Probleme der Provinz und der Banlieues kann man mit einer delikaten Hummer-Mahlzeit im Bauch natürlich viel besser verstehen als ohne. Ein schnödes Wiener Schnitzel mit Pommes wäre da einfach nicht angemessen gewesen und in den Augen des Betrachters womöglich als plumpe Anbiederung an das gemeine Volk interpretiert worden. Französische Lebensart folgt dem Motto: "Leben wie Gott in Frankreich." Und seien Sie mal ehrlich, würde sich der Allmächtige mit weniger zufrieden geben? Na, sehen Sie...

Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich? Die eklatante Wohnungsnot? Nun, dafür hat die illustre Gesellschaft nach ein paar Flaschen Mouton Rothschild bestimmt eine passende Lösung gefunden. Eine Lösung? Ach, was sage ich, das Patentrezept! Die Regierung will uns bloß überraschen und hält es bis dahin unter Verschluss. Zugegeben, eine Fahrt mit der Metro vom großbürgerlichen 16. Arrondissement in die angrenzende Arbeiterstadt Montreuil wäre zweifellos billiger und vermutlich auch wesentlich aufschlussreicher gewesen. Aber kann man das den handverlesenen Gästen eines Regierungsmitglieds zumuten? In der Metro wären sie - horribile dictu - sehr wahrscheinlich auf Arme oder Einwanderer getroffen. Direkter Blickkontakt, gewissermaßen eine unheimliche Begegnung der dritten Art. Ein absolutes No-Go. Nach de Rugys Geschmack ist das offenbar entschieden zu viel Kontakt mit der Zivilgesellschaft. Richtig, man soll es mit der Feldforschung nicht gleich übertreiben.

Wie passend, dass die Franzosen morgen Nationalfeiertag haben, am 14. Juli 1789 begann die Französische Revolution mit dem Sturm auf die Bastille. Losung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (Liberté, Égalité, Fraternité). Genau das, was Umweltminister François de Rugy tagtäglich in der Praxis vorlebt. Der Furor der Wutbürger soll damals übrigens durch den unglaublich ignoranten Satz einer gewissen Marie Antoinette angefacht worden sein. Sie habe nämlich, darauf angesprochen, dass die Armen kein Brot hätten und deshalb hungern müssten, Folgendes entgegnet: "Wenn das Volk kein Brot hat, dann soll es eben Kuchen essen." Jeder weiß, womit Marie Antoinette ihren unverhohlenen Dünkel bezahlte. Die Umgangsformen sind inzwischen zum Glück ziviler geworden, aber vielleicht kosten die opulenten Gelage den Minister das Amt. Höchst bedauerlich: Es soll Franzosen geben, die darauf zwar nicht gleich ihren Kopf, doch zumindest ihre gelbe Weste verwetten würden.

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[1] Süddeutsche vom 12.07.2019