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18. Juli 2019, von Michael Schöfer
Schlüssig ist das nicht


Grundsätzlich lebt die Demokratie davon, dass jeder jedes Amt übernehmen darf. Zumindest potenziell. Natürlich ist es von Vorteil, wenn man Sachkenntnis und Erfahrung mitbringt. Der gelernte Maurer Georg Leber (SPD) war von 1972 bis 1978 Bundesverteidigungsminister - und nicht einmal der schlechteste, er erwarb sich in der Truppe hohes Ansehen und war bei den Soldaten sehr beliebt. Vorher war Leber Verkehrs- und Postminister. Nichts spricht gegen Annegret Kramp-Karrenbauer als Oberkommandierende im Bendlerblock. Aber es hätte in meinen Augen auch nichts gegen Manfred Weber als EU-Kommissionspräsident gesprochen. Jedenfalls nicht, was seine Eignung angeht. Weber stand zudem bei der Europawahl als Spitzenkandidat auf dem Wahlzettel, Ursula von der Leyen kam dagegen völlig unerwartet als Nominierte aus dem Hinterzimmer heraus, kein einziger Wähler hatte sie zuvor auf der Rechnung.

Manfred Weber durfte nicht EU-Kommissionspräsident werden, weil ihn wichtige Entscheidungsträger für ungeeignet hielten. Weber wurde mangelnde Regierungs- und Verwaltungserfahrung vorgeworfen. Nicht, dass ich den CSU-Politiker besonders sympathisch finde und gerne als Chef der EU-Kommission gesehen hätte, aber ich möchte wenigstens auf eines hinweisen: Jetzt sitzt in der EU-Kommission eine Frau auf dem Chefsessel, die gelernte Medizinerin ist. Weber ist Ingenieur, von daher schenken sich beide nichts.

Regierungserfahrung hat Ursula von der Leyen zweifellos genug erworben, aber ihre Leistungen als Bundesverteidigungsministerin lassen doch sehr zu wünschen übrig, wenngleich das Amt wohl eines der schwierigsten ist. Böse Zungen behaupten, ihre europapolitische Kompetenz erschöpfe sich in ihrem Geburtsort (Brüssel), während Weber immerhin seit 2004 im EU-Parlament sitzt und mit den Abläufen der EU-Bürokratie bestens vertraut sein dürfte. Obendrein ist er seit 2014 auch noch Fraktionsvorsitzender der EVP (Europäische Volkspartei). Ungeeignet? Das sehen seine Fraktionskollegen offenbar anders, hätten sie ihn sonst gewählt?

Noch skurriler wird das Ganze, wenn man sich die Begründung anschaut, warum die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer neue Bundesverteidigungsministerin werden durfte: "Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wertete die Ernennung als 'beste Besetzung, die man sich jetzt vorstellen kann'. Er sei sich 'ziemlich sicher', dass Kramp-Karrenbauer das Ministerium 'gut führen' werde, 'vielleicht sogar freier', gerade weil sie mit den Themen bisher nicht befasst gewesen sei." [1]

Der geneigte Leser vernimmt es mit Erstaunen. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Manfred Weber wurde als ungeeignet empfunden, weil er angeblich zu wenig Erfahrung hat. Annegret Kramp-Karrenbauer hingegen bekommt von Horst Seehofer attestiert, sie sei gerade deshalb besonders gut geeignet. Wohlgemerkt: Für eines der heikelsten Ministerämter, die in Berlin zu vergeben sind. Der, der in den Augen der Entscheider zu wenig Erfahrung hat, darf nichts werden. Aber die CDU-Vorsitzende, die bislang überhaupt noch nichts mit der Thematik zu tun hatte, darf plötzlich die Bundeswehr übernehmen. Schlüssig sind die sich gegenseitig ausschließenden Begründungen nicht, sie hinterlassen vielmehr den Eindruck von Beliebigkeit.

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[1] Süddeutsche vom 17.07.2019