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25. Juli 2017, von Michael Schöfer
Was Politiker halt so sagen


"Meine Regierung wird nicht das Interesse der Reichen oder Mächtigen oder Privilegierten im Auge haben. Sondern eures. Zusammen werden wir ein besseres Großbritannien bauen", sagte Theresa May im Jahr 2016 kurz nach ihrem Amtsantritt. [1] Ein wunderbares Versprechen. Allerdings ist das verfügbare Haushaltseinkommen der ärmeren Hälfte der Briten nach einer Studie der Londoner Resolution Foundation in der Regierungszeit von Theresa May gesunken, während die reichsten fünf Prozent überdurchschnittlich profitierten. [2] Sie hat derart unprofessionell regiert, dass man erstaunlicherweise kaum jemand finden wird, der ihr eine Träne nachweint. Ob es unter ihrem Nachfolger besser wird, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Was sagte Boris Johnson kurz nach seinem Amtsantritt? "Mein Job ist, Premierminister des gesamten Vereinigten Königreiches zu sein. Das bedeutet, das Land zu einen, die Rufe der Vergessenen aus den abgehängten Städten zu hören und das Band zu erneuern, das uns vereint: durch sicherere Straßen, bessere Bildung, durch eine fantastische neue Straßen- und Schieneninfrastruktur, Glasfaserverbindungen überall. Wir schaffen gleiche Bedingungen in Großbritannien durch höhere Löhne, höhere Produktivität, schaffen gleiche Chancen, indem wir Millionen junger Menschen die Chance geben, ihre eigenen vier Wände zu besitzen." [3] Boris der Sozialrevolutionär. Boris der Modernisierer. Boris der Versöhner.

Da habe ich mich echt gefragt: Glaubt der das wirklich? Ein reicher Schnösel. Vorsitzender einer Partei, die zum rigiden Sozialdarwinismus à la Maggie Thatcher tendiert, das Ganze
aber neuerdings gerne hinter wohlklingenden Worten versteckt. Woher will Boris Johnson überhaupt das viele Geld nehmen? Schließlich hat Großbritannien 2016 ein Haushaltsdefizit von 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, 2017 war es ein Defizit von 1,9 Prozent und 2018 ein Defizit von 1,5 Prozent. [4] Alles in allem betrugen die Staatsschulden auf der Insel im vergangenen Jahr 86,0 Prozent des BIP. Zum Vergleich: Deutschland 60,9 Prozent. [5] Ob der Brexit den erhofften Aufschwung bringt, bleibt abzuwarten.

Aber der neue britische Premierminister gilt ja ohnehin als ein Mann, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Seine Ankündigung sollte man daher nicht allzu ernst nehmen. Was Politiker halt so sagen, wenn sie bei der Bevölkerung gut Wetter machen wollen. Die Realität sieht meist anders aus.

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[1] WAZ vom 13.07.2016
[2] Focus vom 19.07.2019
[3] Deutschlandfunk vom 25.07.2019
[4] Eurostat, Defizit/Überschuss, Schuldenstand des Staates
[5] tagesschau.de vom 27.06.2019