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23. August 2019, von Michael Schöfer
Klassische Konditionierung


Iwan Petrowitsch Pawlow (Medizinnobelpreis 1904) ist vor allem durch den nach ihm benannten Reflex in Erinnerung geblieben. Pawlow experimentierte mit Hunden, mit Politikern hätte sein Experiment aber ebenfalls geklappt. Leider starb er schon 1936, folglich hat er den CSU-Politiker Hans Michelbach, Geburtsjahr 1949, nie kennengelernt. Trotzdem funktioniert der Pawlowsche Reflex auch mit Michelbach ganz wunderbar.

Das Spiel geht so: Die SPD will… Hans Michelbach ist dagegen.
  • Die SPD will die Vermögensteuer wieder einführen? Hans Michelbach: "Das ist Klassenkampf mittels Steuerpolitik." [1]
  • Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will Arbeitnehmer mit dem "Arbeit-von-morgen-Gesetz" stärker vor Konjunkturkrisen schützen? Hans Michelbach sieht keinen Handlungsbedarf. [2]
  • Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will mit der CO2-Steuer das Klima schützen? Hans Michelbach warnt vor übereilten Entscheidungen. [3]
  • Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will, wie im Koalitionsvertrag auf Seite 54 verabredet (dazu später mehr), den Solidaritätszuschlag für 90 Prozent der Zahler abschaffen. Hans Michelbach fordert: "Wir brauchen ein vollständiges Soli-Abschaffungsgesetz." [4]
Man kann sich auf Hans Michelbach verlassen:

"Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein", sagt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Unternehmen, die mit kriminellen Methoden Geld machen, will sie anders als bisher bestrafen. "Sie stellte am Donnerstag einen Gesetzentwurf vor, der eine drastische Erhöhung der Geldbußen und die Pflicht der Justiz zu Ermittlungen bei einem Anfangsverdacht vorsieht. Strafbar erlangtes Geld kann der Staat demnach einziehen und die Betroffenen damit entschädigen." [5]

Angesichts dessen setzte bei Hans Michelbach zwar nicht der Speichelfluss ein, aber er hat sich wie gehabt sogleich gegen die Pläne der Bundesjustizministerin ausgesprochen. Offenbar reflexartig, also ohne groß nachzudenken. Das sei ein "Generalangriff auf die Unternehmen", wetterte er empört. Lambrechts Unternehmensstrafrecht sei "am Ende vor allem eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Rechtsanwälte". [6]

Dabei sind die Pläne von Lambrecht keineswegs neu, denn sie stehen im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, der am 12. März 2018 für die laufende Legislaturperiode abgeschlossen wurde:

Unternehmenssanktionen
Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird. Deshalb regeln wir das Sanktionsrecht für Unternehmen neu. Wir werden sicherstellen, dass bei Wirtschaftskriminalität grundsätzlich auch die von Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden. Bislang liegt es im Ermessen der zuständigen Behörde, ob auch das betreffende Unternehmen verfolgt wird. Durch die Abkehr vom Opportunitätsprinzip des bislang einschlägigen Ordnungswidrigkeitenrechts sorgen wir für eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung. Durch klare Verfahrensregelungen erhöhen wir zudem die Rechtssicherheit der betroffenen Unternehmen. Zugleich werden wir spezifische Regelungen über Verfahrenseinstellungen schaffen, um der Justizpraxis die notwendige Flexibilität in der Verfolgung einzuräumen. Wir werden das Sanktionsinstrumentarium erweitern: Die geltende Bußgeldobergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig. Wir werden sicherstellen, dass sich die Höhe der Geldsanktion künftig an der Wirtschaftskraft des Unternehmens orientiert. Bei Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz soll die Höchstgrenze bei zehn Prozent des Umsatzes liegen. Zudem schaffen wir weitere Sanktionsinstrumente. Weiterhin schaffen wir konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensgeldsanktionen. Die Sanktionen sollen auf geeignetem Weg öffentlich bekannt gemacht werden. [7]

Der Koalitionsvertrag wurde von Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU), Olaf Scholz (SPD, kommissarischer Vorsitzender), Volker Kauder (CDU), Andrea Nahles (SPD), Alexander Dobrindt (CSU), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Lars Klingbeil (SPD) und Andreas Scheuer (CSU) unterschrieben.

Hans Michelbach hätte lediglich auf Seite 126 nachlesen brauchen. Hat ihn allerdings nicht am Lospoltern gehindert. Iwan Petrowitsch Pawlow wäre bestimmt begeistert gewesen. Zumindest aus medizinischen Gründen.

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[1] Augsburger Allgemeine vom 23.08.2019
[2] Deutschlandfunk vom 13.08.2019
[3] FAZ.Net vom 08.08.2019
[4] Handelsblatt vom 16.08.2019
[5] Die Welt-Online vom 22.08.2019
[6] Die Welt-Online a.a.O.
[7] CDU, Koalitionsvertrag 2018, PDF-Datei mit 8,3 MB