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03. Oktober 2019, von Michael Schöfer
Das ist mal wieder typisch CDU


Fehler sind dazu da, dass man aus ihnen lernt. Fehler passieren, aber mit einer ordentlichen Fehlerkultur kann man verhindern, sie ein zweites Mal zu machen. Wer ständig mit dem Kopf durch die Wand will, hat jedoch nichts dazugelernt, wird immer wieder die gleichen Fehler machen und dadurch letztlich scheitern. Politiker haben offenbar keine ordentliche Fehlerkultur entwickelt, denn sie lernen anscheinend nicht dazu.

Beispiel Föderalismusreform:
2006 hat man die Föderalismusreform umgesetzt und das Grundgesetz entsprechend geändert. Ziel war es, die Kompetenzen von Bund und Ländern neu zu regeln und dabei zu entflechten. Im Grunde ein löbliches Unterfangen, doch manches davon war reichlich unüberlegt. Bestandteil der Föderalismusreform war u.a. das Kooperationsverbot in der Bildungspolitik, und die ist bekanntlich Ländersache. Mit dem "DigitalPakt Schule" wollte die Bundesregierung im vergangenen Jahr die Digitalisierung in den allgemeinbildenden Schulen mit 5 Mrd. Euro fördern, was aber wegen dem seinerzeit vereinbarten Kooperationsverbot, das Finanzhilfen nur für den Bereich der Hochschulen erlaubte, zunächst rechtlich nicht möglich war. 2019 haben Bundestag und Bundesrat deshalb das Grundgesetz (Artikel 104 c) erneut geändert, um dem Digitalpakt den Weg zu ebnen. Anders ausgedrückt: Die Politik korrigierte 2019 ein Problem, das sie 2006 selbst verursachte.

Beispiel Schuldenbremse:
2009 wurde die Schuldenbremse ins Grundgesetz (Artikel 109) aufgenommen, danach ist die Nettokreditaufnahme des Bundes auf 0,35 Prozent des BIP begrenzt und den Länder ab 2020 komplett untersagt. Hintergrund war das ideologiebesetzte Leitbild der schwäbischen Hausfrau, die Schulden angeblich genauso scheut wie der Teufel das Weihwasser. Allerdings baut man auch im Schwabenland sein Häusle selten ohne Baudarlehen. Im Gegenteil, 2016 lebte immerhin die Hälfte der deutschen Bausparer in Baden-Württemberg. Dass eine Volkswirtschaft außerdem ökonomisch anders beurteilt werden muss als ein Privathaushalt, wurde geflissentlich ignoriert. Der Unterschied: Spart ein Privathaushalt, hat das keinerlei Einfluss auf seine Einnahmen, sondern bloß auf seine Ausgaben. Spart dagegen der Staat, hat das durchaus Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt und damit auf die Einnahmen der öffentlichen Haushalte. Werden wegfallende staatliche Investitionen nicht durch private kompensiert, was in vielen Fällen kaum möglich ist, sinken nämlich die Umsätze der Unternehmen, die diese Staatsaufträge normalerweise ausgeführt hätten. Sinkende Umsätze = sinkende Gewinne = sinkende Steuerzahlungen = sinkende Steuereinnahmen. Hinzu kommt steigende Arbeitslosigkeit, die die Steuereinnahmen ebenfalls mindert.

Angesichts der bescheidenen Konjunkturaussichten wird die Schuldenbremse neuerdings sogar von den Arbeitgebern infrage gestellt: BDI-Präsident Dieter Kempf kritisierte im Frühjahr "den Mangel an Investitionen und das Festhalten an der Schuldenbremse. 'Wir sollten darüber diskutieren, ob größere Spielräume für Investitionen sinnvoll sind. Wir müssen die Risiken eines Wirtschaftsabschwungs bekämpfen, bevor er da ist.'" [1] "Die Schuldenbremse hat sich nicht wirklich bewährt", konstatiert Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). [2] Erklärter Gegner der Schuldenbremse ist auch Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. [3] "Eigentlich müssten wir die Schuldenbremse reparieren", meint selbst Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft. [4] Der Direktor des IW in Köln war ehedem Befürworter der Schuldenbremse. Noch sträubt sich die Politik, doch die Kritik an der Schuldenbremse wird lauter.

Trotz dieser ernüchternden Bilanz will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Deckelung der Sozialabgaben ins Grundgesetz aufnehmen. Ein Höchstsatz von 40 Prozent soll dort rechtsverbindlich festgeschrieben werden, das hat er jetzt bei der Präsentation seiner Mittelstandsstrategie gefordert. [5] Jedem sollte klar sein, was die Konsequenz von Altmaiers Sozialabgabendeckel sein wird: Wer die Einnahmen der Sozialversicherung festschreibt, senkt bei sich verschlechternden Rahmenbedingungen notwendigerweise auch deren Leistungen. Das haben wir ja bei der Rentenreform gesehen: Die Deckelung des Beitragssatzes führte zwangsläufig zu einer - politisch gewollten - Absenkung des Rentenniveaus. Und heute diskutieren wir, aufgrund der getroffenen Entscheidungen wenig verwunderlich, über wachsende Altersarmut. Die vorübergehende Stabilisierung des derzeitigen Rentenniveaus von 48 Prozent und die geplante Einführung einer Grundrente sind in Wahrheit lediglich Reparaturen an den verhunzten Rentenreformen der Vergangenheit. Wer von den sechs Stellschrauben (Höhe des Beitragssatzes, Höhe des Rentenniveaus, Renteneintrittsalter, Beitragsbemessungsgrenze, Bundeszuschuss und Beitragsbasis) eine oder zwei festschreibt, kann logischerweise nur noch an den anderen drehen. Mit den entsprechenden Auswirkungen.

Das gleiche Fiasko würden wir mit dem grundgesetzlich verankerten Sozialabgabendeckel erleben: Wer die Beiträge zur Sozialversicherung deckelt, kommt beispielsweise in einer Wirtschaftskrise kaum darum herum, die Leistungen, etwa das Arbeitslosengeld, zu kürzen. Mehr Arbeitslose müssten sich schrumpfende Einnahmen teilen, die Stellschraube Höhe der Sozialabgaben steht ja nicht mehr zur Verfügung. Das liefe auf prozyklisches, d.h. krisenverschärfendes Handeln hinaus. Gerade wenn es besonders wichtig wäre, den Schutz der Menschen aufgrund eines Konjunkturabschwungs zu stärken, müssten die Leistungen reduziert werden. Weniger Geld in den Taschen von Arbeitslosen ist aber nicht nur für die Betroffenen fatal, sondern senkt auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Wer weniger hat, kann weniger ausgeben. Wenn sich die Politik von vornherein bestimmter Handlungsoptionen beraubt, kann sie nur noch eingeschränkt reagieren. Und da Grundgesetzänderungen einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages sowie des Bundesrates bedürfen, sind von der Verfassung abweichende politische Vorhaben nur schwer durchzusetzen. Steht der Sozialabgabendeckel einmal im Grundgesetz, wird er womöglich für lange Zeit feststehen.

Im Übrigen steht Altmaiers Ansinnen in krassem Widerspruch zu den Plänen von Jens Spahn (CDU), der den Pflegenotstand bekämpfen will. In der stationären Altenpflege soll es 13.000 neue Stellen geben, zudem sollen Pflegekräfte mehr verdienen. Der Bundesgesundheitsminister verspricht, die Ausbildung in den Gesundheitsberufen zu modernisieren. Das alles kostet natürlich jede Menge Geld. Der Beitragssatz der Pflegeversicherung wurde zuletzt am 1. Januar 2019 um 0,5 Prozentpunkte erhöht (Kinderlose zahlen weitere 0,25 Prozentpunkte obendrauf). Da in Zukunft mit einem starken Anstieg der Pflegebedürftigen gerechnet wird (laut Bundesregierung von 3,41 Mio. im Jahr 2017 auf 4,10 Mio. im Jahr 2030 und 5,35 Mio. im Jahr 2050), stellt sich unweigerlich die Frage der Finanzierung. Was wird aus den ambitionierten Plänen des Bundesgesundheitsministers, wenn die Sozialabgaben nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministers auf 40 Prozent gedeckelt werden? Ob sich die Kabinettskollegen darüber schon verständigt haben? Weiß in der Bundesregierung die rechte Hand, was die linke Hand tut?

Es stellt sich generell die Frage, ob man solche Detailregelungen überhaupt ins Grundgesetz aufnehmen soll. Meiner Ansicht nach sind sie dort deplatziert. Wie man heute sieht, wird die vor zehn Jahren ins Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse in zunehmendem Maße hinterfragt. Angesichts des stark veränderten wirtschaftspolitischen Umfelds aus nachvollziehbaren Gründen. Das Grundgesetz soll die grundlegenden Mechanismen, nach denen unsere Gesellschaft funktioniert, festlegen. Aber was hat darin die Höhe der Sozialabgaben zu suchen? Nichts! Diese Forderung ist ohnehin reine Ideologie, die 40 Prozent-Grenze ist rein willkürlich gewählt, denn objektiv kann man sie nirgendwo ableiten. Wäre es anders, könnte man ebenso eine Mindestverzinsung für Sparer in die Verfassung aufnehmen. Oder einen bestimmten Erbschaftsteuersatz. Doch solche Forderungen wären Kokolores, denn derartige Beschlüsse fallen in den Bereich der Tagespolitik. Grundlegende Bedeutung für das Funktionieren unserer Gesellschaft haben sie nicht.

Peter Altmaiers Vorschlag ist daher eine Schnapsidee. Vielleicht auch der krampfhafte Versuch, sich bei der Wirtschaft, die ihn zuletzt stark kritisiert hat ("Fehlbesetzung", "Totalausfall", "schwächster Minister" im Bundeskabinett), wieder einzuschmeicheln. Auf Kosten der Arbeitnehmer, versteht sich, denn während die Arbeitgeber dadurch Geld sparen, schrumpfen eventuell im Bedarfsfall die Leistungen für die Beschäftigten. Mit anderen Worten: Das ist mal wieder typisch CDU.

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[1] Focus-Online vom 14.04.2019
[2] MOZ.de vom 15.07.2019
[3] taz vom 19.03.2019
[4] iwd vom 30.09.2019
[5] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Mittelstandsstrategie, Seite 9, PDF-Datei mit 3,8 MB