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12. Oktober 2019, von Michael Schöfer
Anstatt uns bloß zu empören, sollten wir jetzt endlich handeln


Nicht erst seit dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle fragt man sich in Deutschland, woher all der Hass kommt. Der wird von einigen bewusst erzeugt, von den Gerichten aber auch teilweise äußerst nachsichtig behandelt. Dass das Berliner Landgericht in Formulierungen wie "Stück Scheisse", "Drecks Fotze", "Schlampe", "Geisteskranke" oder "Sondermüll" keine Diffamierung und damit keine Beleidigung der Grünen-Politikerin Renate Künast sehen wollte, ist skandalös. Die Kommentare weisen angeblich alle einen Sachbezug auf und seien daher erlaubt, urteilten die Richter. Sie adelten die Schmähungen als "Auseinandersetzung in der Sache". Darüber hat die ganze Republik zu Recht verständnislos den Kopf geschüttelt. Ob das Urteil Bestand haben wird, wage ich zu bezweifeln.

Ein vergleichbarer Vorgang hat sich am 7. Oktober 2019 vor der Dresdner Frauenkirche zugetragen. PEGIDA-Gründer Lutz Bachmann, der u.a. bereits wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, hat auf der öffentlichen Veranstaltung der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" Umweltaktivisten, Mitglieder von "links-grün-faschistischen Parteien" und Gewerkschafter als "Terroristen", "Volksschädlinge", "miese Maden", "asoziale Maden", "Volksfeinde" und "Parasiten" bezeichnet. Das Wort "Parasiten" verwendete er sogar ausdrücklich "bewusst". Die würden alle auf der "entarteten Seite des Grabens" stehen, der die Gesellschaft teile. Das ist eine Sprache, wie sie die Nazis verwendet haben.

Aber es kommt noch schlimmer, denn der PEGIDA-Gründer drohte unverhohlen, die Angesprochenen und deren Unterstützer zu ermorden. Wörtlich sagte er: "Die sollen rein in den Graben, damit können wir den Graben füllen, wir werfen sie in den Graben, dann schütten wir diesen Graben zu. (...) Wichtig ist aber, dass wir diesen Graben mit all den Grünen, Linken und extremistischem Müll zu füllen. (…) Und auf diesem zugeschütteten Graben pflanzen wir Bäume." [1] Mich erinnert das an die Massengräber, die wir aus der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte kennen.

Es ist ungeheuerlich, dass solche öffentlichen Äußerungen möglich sind. Sie zeigen einmal mehr, wes Geistes Kind die PEGIDA-Anhänger sind, denn Bachmanns Hetzrede wurde mit Beifall bedacht. Presseberichten zufolge wird gegen den vorbestraften PEGIDA-Gründer wegen Volksverhetzung und der Anstiftung zu Straftaten ermittelt. Und man kann nur hoffen, dass er nicht auf so verständnisvolle Richter wie die vom Berliner Landgericht treffen wird. Bachmanns Hetze hat nichts mehr mit der vom Grundgesetz garantierten Meinungsfreiheit zu tun. Wenn ihm die Justiz das durchgehen lässt, öffnet sie sämtliche Schleusen anstatt sie wie gefordert zu schließen.

Dieser Tage ist erneut viel von der wehrhaften Demokratie und vom Widerspruch gegen die unsägliche Hetze die Rede. Es geht aber nicht nur um den weitverbreiteten Antisemitismus und darum, jüdische Einrichtungen vor Anschlägen zu schützen, sondern vielmehr um den Schutz der ganzen Gesellschaft. Spätestens der Mord am Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke hätte uns die Augen öffnen müssen. "Ich bin der Meinung, dass wir vieles in diesem Land nicht in dieser Dramatik, in dieser Bedeutung wahrgenommen haben und dass es umso wichtiger ist, jetzt tatkräftig, entschlossen und konsequent als Rechtsstaat zu handeln", fordert Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Bundesinnenminister Horst Seehofer mahnt etwas spät: "Wir müssen der Wahrheit ins Gesicht blicken. Die Bedrohungslage durch Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland ist sehr hoch." [2] Dieser Angriff zielt auf die Demokratie selbst, bedroht die pluralistische Gesellschaft und die Freiheit der Menschen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier findet klare Worte: "Ich bin die dumpfe Verachtung leid, die kaum verhohlene Bereitschaft zu Gewalt, das offene Schüren von Hass gegen Minderheiten, gegen demokratische Institutionen in unserem Land. Ich bin es leid, dass Rechtsextremismus offen das Wort geredet wird und diese Borniertheit klammheimliche Zustimmung findet. Ich sage es deutlich: Wer dafür auch nur einen Funken Verständnis aufbringt, der macht sich schuldig." [3]

Aber nicht bloß Rechtsextremisten schüren die Verachtung gegen demokratische Institutionen, beispielsweise fühlte sich auch der Polizeigewerkschafter Rainer Wendt (DPolG) bemüßigt, auf seiner Facebook-Seite folgenden Text zu posten: "Claudia Roth sagt: 'Der Bundestag ist kein Bierzelt!' Damit hat sie wohl Recht und das ist sehr schade. Denn in deutschen Bierzelten sitzen überwiegend anständige Steuerzahler, die was gelernt haben und ihr Land lieben." [4] Im Umkehrschluss heißt das ja dann wohl, dass im Deutschen Bundestag überwiegend keine anständige Steuerzahler sitzen, die etwas gelernt haben. Und Vaterlandsliebe? Herr Wendt, willkommen im 21. Jahrhundert! Die Unterstellung, den Abgeordneten im Deutschen Bundestag wäre ihr Land nicht ans Herz gewachsen, ist in jeder Hinsicht perfide. Was soll das? Und ausgerechnet auch noch vom Bundesvorsitzenden einer Polizeigewerkschaft?

Leider kein Einzelfall, der sich als Ausrutscher verharmlosen ließe. Dass sich nach der Landtagswahl in Bremen vom 26. Mai 2019 SPD, Grüne und Linke gegen die CDU zusammentaten, um gemeinsam eine Regierung zu bilden, wertete Rainer Wendt als Betrug am Wahlvolk
[5], obgleich dieser Vorgang in einer parlamentarischen Demokratie völlig normal ist (die Union war z.B. mit Ausnahme der 7. Legislaturperiode von 1972 bis 1976 während der gesamten sozialliberalen Ära stärkste Partei, saß aber trotzdem von 1969 bis 1982 in der Opposition). Es gilt nämlich: Nicht die stärkste Partei stellt die Regierung, sondern laut Verfassung die Mehrheit im Parlament. "Die Senatsmitglieder werden von der Bürgerschaft mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Dauer der Wahlperiode der Bürgerschaft gewählt." (Artikel 107 Abs. 2 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen) Und die Mehrheit liegt eben in der Bremer Bürgerschaft nach wie vor links der CDU. Stellt sich Wendt dümmer, als er tatsächlich ist?

Wie dem auch sei, jedenfalls kann man demokratische Institutionen auch auf diese Weise verächtlich machen. Rainer Wendt bedient ein Narrativ, das für gewöhnlich bei den Feinden der Demokratie Verwendung findet (Betrug am Wahlvolk). Und von dort ist es bis zum "Volksverräter" nicht mehr allzu weit. Wenn selbst Polizeigewerkschafter zu einer solchen Diktion greifen, braucht man sich über die unerträgliche Wortwahl rechtsextremer Hetzer wirklich nicht zu wundern. Außerdem fragt man sich unwillkürlich, was wohl die einfachen Mitglieder seiner Gewerkschaft denken, wenn schon ihr Bundesvorsitzender in aller Öffentlichkeit so einen jeglicher Substanz entbehrenden Unsinn verbreitet. Polizisten leisten schließlich einen Eid auf die Verfassung: "Ich schwöre, dass ich das mir übertragene Amt nach bestem Wissen und Können verwalten, Verfassung und Gesetze befolgen und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde." (§ 46 Landesbeamtengesetz von Nordrhein-Westfalen) Wer auf dem Boden der Verfassung steht, muss demzufolge die Regierungsbildung in Bremen akzeptieren und darf sie nicht als Betrug am Wahlvolk in Misskredit bringen.

Es nützt nichts, wenn wir uns nach Verbrechen wie dem in Halle bloß empören, den Worten müssen jetzt endlich Taten folgen. Die Behörden müssen die Bedrohung der Demokratie konsequent mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen. Übrigens auch in den eigenen Reihen. Der Vorwurf, sie seien auf dem rechten Auge blind, wird ja nicht ohne Grund erhoben. Die haarsträubenden Pannen und Fehleinschätzungen bei der NSU-Mordserie wurden offenbar immer noch nicht zur Genüge aufgearbeitet. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) musste zum Beispiel eingestehen, dass gegen fast 40 Polizeibeamte des Landes wegen eines rechtsextremistischen Hintergrundes ermittelt wurde. "Mehr als ein Dutzend dieser Verfahren sind eingestellt worden, fünf Mann wurden aus dem Dienst entlassen. Bei den restlichen laufen die Ermittlungen noch." [6] Keiner weiß, ob das nur die Spitze eines Eisbergs ist. Angeblich werde "jeder noch so kleine Anfangsverdacht in der hessischen Polizei (...) sofort von den Ermittlern geprüft". Allerdings begann man in Hessen erst zu ermitteln, als die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz und deren Familie mutmaßlich aus den Reihen der Polizei heraus bedroht wurde und der Vorgang an die Öffentlichkeit kam. Die Drohbriefe trugen die Unterschrift "NSU 2.0".

Darüber, wie groß innerhalb der Sicherheitsbehörden die Sympathien für die AfD ausfallen, gibt es unterschiedliche Ansichten. "Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, hat bestätigt, dass in der Bundespolizei Mitarbeiter mit rechtsnationalen Parteien sympathisieren. 'Da ist bei vielen Beamten etwas in Schieflage geraten, was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt.'" [7] Rainer Wendt hält freilich "nichts davon, über das angebliche Wahlverhalten einzelner Berufsgruppen zu schwadronieren, ohne irgendwelche Belege dafür zu haben." [8]

Als kürzlich Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) Polizeibeamten, die sich zum sogenannten "Flügel" um AfD-Landeschef Björn Höcke bekennen, mit Konsequenzen drohte, wollte Wendt den Sachverhalt zumindest nicht mehr gänzlich in Abrede stellen: "Ein guter Innenminister bedroht seine Beschäftigten nicht mit Disziplinarverfahren, weil sie sich für eine politische Partei engagieren. Ein guter Innenminister fragt sich, warum sie das tun." [9] Wohlgemerkt, Maier sprach vom rechtsnationalen Flügel der AfD, nicht von der AfD als Ganzes, aber solche Feinheiten übersieht Wendt gerne. [10] Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Gruppierung als Verdachtsfall ein (extremistische Bestrebung). Das Verwaltungsgericht Meiningen urteilte sogar in einem Eilverfahren, dass man den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke als Faschist bezeichnen darf. Die Antragstellerin hat dem Urteil zufolge "in ausreichendem Umfang glaubhaft gemacht, dass ihr Werturteil nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage beruht". [11] Angesichts dessen fragt man sich, warum es der Polizeigewerkschafter Wendt überhaupt für notwendig hält, Polizeibeamte in Schutz zu nehmen, die auf die Demokratie vereidigt sind, sich aber dennoch zum Flügel bekennen. Ich finde das ebenso erstaunlich wie überflüssig.

Wie man sieht, es bleibt noch viel zu tun.

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[1] Hinweis: Das Video kann man sich auf YouTube ansehen, aber ich werde hier nicht auf meiner Ansicht nach strafbare Inhalte verlinken
[2] ZDF, Heute vom 10.10.2019
[3] Der Tagesspiegel vom 11.10.2019
[4] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 03.03.2019
[5] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 05.06.2019
[6] Spiegel-Online vom 26.09.2019
[7] FAZ.Net vom 24.06.2019
[8] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 23.06.2019
[9] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 08.10.2019
[10] Handelsblatt vom 08.10.2019
[11] VG Meiningen, Beschluss vom 26.09.2019 - 2 E 1194/19