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19. Oktober 2019, von Michael Schöfer
Dumme Jungs! Na und?


In Zivil salutiert man nicht! Habe ich einst bei der Bundeswehr gelernt. Sind Fußballtrikots eine Uniform? Jedenfalls nicht im militärischen Sinne. Von diesen militärischen Sperenzchen habe ich ohnehin nie viel gehalten, aber das Salutieren türkischer oder türkischstämmiger Fußballspieler ist an Lächerlichkeit schwer zu überbieten. Jetzt, im nationalen Überschwang, halten das viele von ihnen aus Solidarität mit den türkischen Soldaten für notwendig. Doch wenn sich der völkerrechtswidrige Eroberungskrieg im syrischen Grenzgebiet zum militärischen und politischen Debakel entwickelt, denken sie vielleicht anders. Die Bilder sind dann freilich nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Das dämliche Salutieren nachträglich zu bedauern, wird also kaum helfen.

Ob man das Verhalten der Fußballspieler sanktionieren soll, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Die türkischen Behörden werten jegliche Kritik am Militäreinsatz als "Terrorpropaganda". Menschen, die lediglich ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahrnehmen, werden von der Polizei verhaftet. Bedenken am euphemistisch "Operation Friedensquelle" genannten Militäreinsatz sind absolut unerwünscht. Wir sollten uns diesbezüglich toleranter verhalten, schließlich leben wir in einer Demokratie. Gewiss, die salutierenden Fußballspieler sind dumme Jungs, die nicht nachdenken oder sich nicht eigenständig nachzudenken trauen. Immanuel Kants Leitgedanke der Aufklärung ("Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!") dürfte den meisten unbekannt sein. Doch sollen wir das bestrafen? Im Gegensatz zur Türkei sind wir ein freies Land, und missliebige Meinungsäußerungen (wozu das Salutieren für einen Angriffskrieg gehört) sind in pluralistischen Gesellschaft normal.

Verhalten wir uns großzügiger als Erdogan, der selbst den kleinsten Widerspruch unterdrückt. Unterdrücken muss, weil er schlicht und ergreifend Angst hat. In Wahrheit sind Autokraten nämlich schwach, denn sie vertragen keinerlei Kritik. Autokraten sind zudem stur, laufen sie in die falsche Richtung, muss ihnen die Gesellschaft gezwungenermaßen folgen. Und sei es in den Abgrund hinein. Demgegenüber sind Demokratien stark, weil der öffentliche Diskurs die Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft erhöht und den friedlichen Wandel derselben ermöglicht. Erdogan mag glauben, dass es vorteilhaft für ihn ist, wenn er Journalisten, Literaten und Oppositionelle unterjocht. Für die Türkei, oder besser gesagt für die Türken ist sein Verhalten definitiv schädlich. Früher oder später werden das auch die salutierenden Fußballer erkennen.