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05. Januar 2020, von Michael Schöfer
Juristisch auf dünnem Eis und politisch äußerst fragwürdig


Alle Kriege sind nur Verteidigungskriege. Selbst Hitler gab, als er am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg auslöste, vor, dass sich Deutschland bloß verteidige: "Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!" Wenige Tage zuvor hatte er dazu gegenüber den Oberbefehlshabern der Wehrmacht Folgendes gesagt: "Die Auslösung des Konfliktes wird durch eine geeignete Propaganda erfolgen. Die Glaubwürdigkeit ist dabei gleichgültig, im Sieg liegt das Recht." So sorgte u.a. der von einem SS-Kommando vorgetäuschte Überfall auf den Sender Gleiwitz für die "geeignete Propaganda". Polen sollte vor der Weltöffentlichkeit als Aggressor erscheinen. 1964 rechtfertigten die USA ihr Eingreifen in Vietnam mit Angriffen nordvietnamesischer Schnellboote auf zwei US-Kriegsschiffe im Golf von Tonkin, die allerdings in Wahrheit nie stattgefunden hatten. Nur zwei Beispiele von vielen. Das erste Opfer des Krieges ist bekanntlich die Wahrheit. Aber der Griff zur Lüge belegt zumindest, dass sich die Angreifer über den Unrechtscharakter ihres Handelns durchaus im Klaren sind, andernfalls wäre es ja entbehrlich, der Welt Lügenmärchen aufzutischen.

Die Charta der Vereinten Nationen untersagt allen Staaten der Weltgemeinschaft die Androhung oder Anwendung von Gewalt. Angriffshandlungen sind verboten, die individuelle oder kollektive Selbstverteidigung nur im Falle eines vorherigen Angriffs zulässig. Offiziell befinden sich die USA und der Iran nicht im Kriegszustand. Von daher ist es eine juristisch höchst interessante Frage, ob die Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani im Irak völkerrechtlich überhaupt zulässig war. Es geht hier nicht um Sympathien für das Regime in Teheran, sondern um die bedeutsame Frage nach Recht und Unrecht. Daran, dass sich die USA mit ihrem weltweiten Drohnenkrieg noch auf dem Boden des Völkerrechts bewegen, gibt es schließlich seit langem begründete Zweifel. Die meisten Juristen bezeichnen solche Angriffe als illegale außergerichtliche Tötungen. Anders gefragt: War Kassem Soleimani Kombattant im Sinne der Genfer Konvention?

Außerdem interessiert mich die Frage: Ist die Drohung von US-Präsident Trump, er werde, falls der Iran US-Bürger oder amerikanische Einrichtungen angreifen sollte, die strategisch und kulturell für den Iran wichtigen Orte angreifen, rechtmäßig oder illegal? Es ist "verboten, feindselige Handlungen gegen geschichtliche Denkmäler, Kunstwerke oder Kultstätten zu begehen, die zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker gehören". Wer sagt das? Ach, nur Artikel 53 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 8. Juni 1977. Wie bitte, das haben die USA - im Gegensatz zu Russland, China oder Nordkorea - gar nicht ratifiziert? Na dann… Feuer frei! (Achtung: Ironie!)

"Die USA haben mit weiteren Tötungen iranischer Führungspersonen gedroht, sollte das Land amerikanische Ziele attackieren. US-Außenminister Pompeo sagte, solche gezielten Tötungen wären rechtens." [1] Sind sie das wirklich? Und sind mit "iranischen Führungspersonen" Politiker oder vielleicht sogar der Religionsführer Ali Chamenei gemeint? Was immer du tust, handele klug und bedenke das Ende. Nehmen wir an, Trump lässt tatsächlich iranische Politiker gezielt liquidieren. Wie sicher sind dann noch unsere eigenen Politiker? Schließlich könnte sich jeder x-beliebige Schurkenstaat darauf berufen: Trump hat's ja auch getan! Ist das die Welt, die wir uns wünschen? Und was sagt übrigens der UN-Sicherheitsrat dazu?

Die USA haben zweifellos die Macht, ihren Willen durchzusetzen. Niemand ist in der Lage, ihnen Einhalt zu gebieten oder die Befehlsgeber vor Gericht anzuklagen und zu verurteilen. Insofern herrscht momentan nicht die Stärke des Rechts, sondern das Recht des Stärkeren. Militärisch mag das Risiko für Washington kalkulierbar sein, aber ist es das auch politisch? Manchmal ist der politische Preis, den man zu zahlen hat, wesentlich höher als der militärische. Stichwort: Pyrrhussieg.

Im Irak wurde 2003 Diktator Saddam Hussein durch eine Invasion gestürzt, das war sogar ziemlich leicht (auf Seiten der Alliierten kamen lediglich 171 Soldaten ums Leben). Aber die Lügen, die der Weltöffentlichkeit als Rechtfertigung präsentiert wurden, haben nicht nur der Glaubwürdigkeit der USA massiv geschadet, der Krieg hat vor allem in der Region ein bislang nie dagewesenes Chaos ausgelöst. Ein Kind des Irakkriegs ist der sogenannte "Islamische Staat". Das Gleiche 2011 in Libyen: Diktator Muammar al-Gaddafi ist tot, aber wie sieht es dort heute aus? Ein von Milizen durchzogenes Land, das von stabilen Verhältnissen weit entfernt ist. Bekommen haben wir einen Hort der Unsicherheit mit Ausstrahlung in die Nachbarländer, in denen wir uns dann wiederum militärisch engagieren sollen (z.B. Mali). Noch so ein Sieg, und wir sind...

Gewiss, im Westen weint keiner Soleimani eine Träne nach. Trotzdem sollten wir uns nicht damit abfinden, dass Donald Trump ohne erkennbaren Plan und kraft eigener Willkür militärische Gewalt anwendet. Die negativen Folgen seines Handelns sind womöglich größer als die Schäden, die der Iran verursachen kann. Ich fürchte, wir befinden uns gerade an einer historischen Wegmarke, an die wir uns noch lange erinnern werden. Und das sind dann vermutlich keine schönen Erinnerungen.

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[1] Deutschlandfunk vom 05.01.2020