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07. Januar 2020, von Michael Schöfer
Angst vor dem Wüterich


Die deutschen Politiker reden bei der Frage, ob die Tötung von Ghassem Soleimani rechtmäßig war, bloß um den heißen Brei herum. "Nicht umsonst hatte die EU ihn auf der Terrorliste", argumentiert beispielsweise Außenminister Heiko Maas. Was er allerdings unterschlägt: Selbst wenn jemand auf einer Terrorliste steht, hat man trotzdem nicht das Recht, ihn ohne Anklage und ordentlichen Prozess zu töten. Auch in der hiesigen Presse wird diese Frage kaum aufgeworfen, dabei ist sie gar nicht so schwer zu beantworten: Der Drohnenangriff auf Soleimani war völkerrechtswidrig. Anders ausgedrückt: es war Mord (manche verwenden dafür den Terminus "Terror"). Warum traut man sich hierzulande nicht, das Kind beim Namen zu nennen? Angst vor dem unberechenbaren Wüterich im Oval Office?

Beleuchten wir den Vorgang einmal unter einem anderen Blickwinkel: Völkerrechtlich sind die Staaten bekanntlich gleichgestellt, demzufolge darf der Iran das gleiche Recht für sich in Anspruch nehmen wie die Vereinigten Staaten. Macht man sich die Haltung der USA zu eigen, könnte daher auch die Regierung in Teheran einen US-General auf die iranische Terrorliste setzen und bei passender Gelegenheit liquidieren, etwa den ausführenden Kommandeur des Drohnenangriffs auf Soleimani. Ich billige das keineswegs, aber dann würde die Öffentlichkeit die Rechtmäßigkeit derartiger Angriffe bestimmt ganz anders diskutieren. Und die Verurteilung des Iran wäre gewiss einhellig.