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31. Dezember 2019, von Michael Schöfer
Satire darf nicht mehr satirisch sein


Gestern Abend in 3sat - ein durchaus attraktives Kontrast-Programm. Der Sender brachte um 20:15 Uhr "Urban Priol: TILT 2019 Der Jahresrückblick" (für eher links Angehauchte) und gleich im Anschluss daran "Nuhr 2019 - Der Jahresrückblick" (für eher rechts Angehauchte). Es war also für jeden etwas dabei. Doch wie wir im Nachgang der WDR-Satire "Meine Oma ist 'ne alte Umweltsau" gesehen haben, Mitarbeiter des Senders bekamen sogar Morddrohungen, ist inzwischen selbst Satire hochproblematisch. Nein, es darf hierzulande anscheinend wirklich nicht mehr gelacht werden, man kotzt sich bloß noch über vermeintliche Unsäglichkeiten aus. Priol soll dies nicht sagen, Nuhr soll jenes nicht sagen. Und ein von Kindern gesungenes, umgetextetes Stimmungslied geht natürlich gar nicht. Dabei ist ja genau das Sinn und Zweck der Satire: zu provozieren (das jeweils andere politische Lager). Und sehen wir es mal nüchtern: Urban Priol muss von etwas leben und bedient seine Klientel. Die bekommt, was sie hören will. Dieter Nuhr muss ebenfalls von etwas leben und bedient seine Klientel. Auch die bekommt, was sie hören will. Es soll sogar Menschen geben, denen beides gefällt.

So hätten eigentlich alle einen vergnüglichen Fernsehabend verbringen können, aber inzwischen muss man bei Polit-Satire befürchten, dass deswegen jeden Moment einer Amok läuft. Was sind das bloß für schlimme Zeiten? Und wo wird das noch hinführen? Dabei ist gerade das der Kern der Freiheit: Jeder darf - auch auf zugespitzte Art und Weise - sagen, was er denkt. Ob man es persönlich witzig oder intelligent findet, ist vollkommen irrelevant. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem man nur noch "ausgewogene" Meinungen vorgesetzt bekommt. Und hey, ich fand beide, Priol und Nuhr, sehenswert. Gut, ich war nicht mit allem einverstanden, aber das liegt in der Natur der Sache. Oder anders ausgedrückt: Diesen Umstand nennt man Pluralismus. Aufgepasst: Pluralismus ist der Zwillingsbruder der Toleranz. Rahmenbedingungen, die für die Demokratie unerlässlich sind. Offenbar ist das vielen nicht mehr klar.